04 April 2021

Kurt Biesalski: Der kleine Mann


 Er ist schon ein närrischer Alter, Luden Jähnig, Decksmann auf der Flußfähre am Fuße der großen Stadt. Sticht einem Tochterbewerber die Mopedreifen durch, singt dreiste Lieder und geht auf?s Eis, um Schwäne zu retten, als sie in einer Frostnacht anfrieren. Und wenn er mit langen Armen den Schlagbaum der Fähre hebt, lachend, dann sehen die Leute: ein Mann - glücklich in jedem Augenblick. Denn er lebt in Harmonie mit der Welt. Und seine Welt, das sind vor allem sieben elternlose Kinder. Im Kriege hat er sie mit seinem LKW gefahren. Er hat sie gewickelt, beschützt und genährt. Und weil sie keine Namen hatten, hat er sie getauft, oben auf dem LKW. Er gab ihnen seinen Namen, seinen kleinen, unbedeutenden Namen Jähnig. Nun aber sind sie groß, haben selbst schon Kinder, sind Leute unserer Tage. Und er, der prahlerische Alte, fühlt sich großartig als Stammvater eines ganzen Geschlechts. Bis jener Augenblick kommt, in dem seine Welt ins Wanken gerät ... 

Hinstorff Verlag Rostock, 4. Auflage 1982

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