Hat Charlsy Traktor Glück, daß ihn ein Zufall davon befreit, sein Leben als Knecht hinzubringen, daß ihn ein Zufall an das Ufer einer großen Stadt verschlägt?
Buchstäblich dort, am offenen linken Donauufer in Wien, begegnet ihm der Leser zum erstenmal. Charly ist längst nicht mehr der einfältige Provinzler, der sich in der großen Stadt verirrt, den Zug verpasst und deshalb gleich dableibt. Er ist auch nicht mehr der hilflose Hilfsarbeiter, der dankbar ist, überhaupt irgendwo unterzukommen. Charly kann zupacken, er ist selbstbewußter geworden und hat auch für seine Kollegen ein Gesicht bekommen. Seine Eigenart beschränkt sich nicht mehr auf die seltsame Mütze mit dem unbegreiflichen Traktor darauf. Charly will tun, was kaum einmal geschehen ist: Er, ein einfacher, gewöhnlicher Arbeiter wie alle um ihn herum, will auf der Betriebsversammlung die katastrophalen Arbeitsbedingungen zur Sprache bringen, und das, obwohl Reden, auch dieser Art, sonst nur Funktionären vorbehalten sind. Als die Forderungen der Arbeiter abgelehnt werden, will ihr Wortführer Charly mit dem Kopf durch die Wand. Er rebelliert wild und kommt erst zur Besinnung, nachdem seine Freundin Elfi einen Selbstmordversuch unternommen hat. Am Ende steht Charly vor Scherben. Aber es sind nur die Scherben auf einem falschen Weg, mit dem sich Charly nicht abfinden wird, und er hat sicher die Kraft, sein Glück nicht auf einen Zufall gründen zu müssen.
Michael Scharangs literarischer Weg ist der Weg zur Arbeiterklasse. Der 1941 in Kapfenberg/Steiermark geborene Autor, der heute in Wien lebt, promovierte über Robert Musil und debütierte 1969 mit Texten unter dem Titel "Verfahren eines Verfahrens", in denen er sich seiner literarischen Fähigkeiten versicherte, die in Sachlichkeit und Präzision der Beobachtung wie Schreibweise bestehen. 1970 veröffentlichte er "Schluß mit dem Erzählen und andere Erzählungen". 1971 folgte der Essayband "Zur Emanzipation der Kunst". 1973 erschien "Charly Traktor", der erste Roman der jüngsten österreichischen Literatur über das heutige Proletariat. Mit leidenschaftlicher Nüchternheit, präziser Parteilichkeit und tiefem Engagement für die Lebensrechte der Menschen vermochte Scharang diesen neuen Stoff in einen spannenden, vorzüglich lesbaren Roman umzusetzen, bei dem über der Realität nie die Gestaltung verlorengeht. Dem Roman "Charly Traktor" folgte, gleichfalls 1973, "Einer muß immer parieren. Dokumentation von Arbeitern über Arbeiter". In dieser Sammlung bewährt sich abermals das leicht ablesbare Grundprinzip Michael Scharangs: Der Schriftsteller hat nicht über etwas zu schreiben. Er hat teilzunehmen und zu schreiben.
Verlag Volk und Welt, Berlin 1975
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