25 Juni 2021

Christian Morgenstern: Heimlich träumen Mensch und Erde - Grotesken, Lieder, Phantasien


 Mit seinen „Galgenliedern“, seinen Gedichten und parodistischen Szenen steht Christian Morgenstern mit am Beginn des deutschen literarischen Kabaretts. Seine grotesk-komischen Verse haben seit der Jahrhundertwende bis heute ihren festen Platz in den Programmen aller Vortragsbühnen behauptet.

Die ersten „Galgenlieder“ schrieb Christian Morgenstern etwa um 1895 für einen lustigen Kreis gleichgesinnter Freunde, die bei ihren Ausflügen zum Galgenberg bei Werder (Potsdam) die gereimten Späße rezitierten und nach Melodien, die der Komponist Julius Hirschfeld dazu erfand, auch sangen. Von diesen „Galgenbrüdern“, wie sich der Kreis der jungen Künstler scherzhaft nannte, führten die ersten bedeutsamen Fäden zur Kleinen Bühne, zu Max Reinhardts „Schall und Rauch“ und zu dem Künstlerkreis um Friedrich Kayssler. Die Voraussetzungen, mit neuen Poesien rasch aufs Podium zu gelangen, waren besonders in Berlin um 1900 günstig, denn es war die Zeit der ersten Brettl-Gründungen, der Künstler-Vortragsabende und der anspruchsvollen Parodientheater. Ernst von Wolzogen ließ sich für die Premiere seines „Überbrettl“ sogleich die Morgensternschen Texte schicken, um nach der Aufführung dem „lieben Meister“ nach Davos zu melden, dass die Darbietungen ein glänzender Erfolg und die Zeitungen des Lobes voll gewesen seien. …

Ein Merkmal für die außergewöhnliche Bühnenwirksamkeit der Morgensternschen Phantastika und Grotesken, weit deutlicher erkennbar als bei seiner sonstigen Lyrik, ist das bewundernswerte Gegenspiel von Präzision und Phantasie, die Sicherheit der Wortwahl, die Sauberkeit der Reimtechnik. Gerade die dichterisch-handwerkliche Feinheit und die verblüffend einfache Sprache machen sie zu einem dauerhaften literarischen Phänomen. Das gilt gleichermaßen für die „Galgenlieder“ (1905) wie für die „Palmström“ (1910) und die nach seinem Tode erschienen Bändchen „Palma Kunkel“ (1916) und „Ginganz“ (1919). …

Die zwei Wurzeln

Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.

Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.

Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.

Die eine sagt: knig. Die andre sagt: knag.
Das ist genug für einen Tag.

Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, 3. Auflage, 1971 (1. Auflage 1967)
Klassische Kleine Bühne

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