30 August 2021

Anton Tschechow: Die Ehe aus Berechnung und andere Erzählungen


 Der Satz, zu dem sich, je länger er lebte und schrieb, sein Denken zusammenzog, war der: "Die Hauptsache ist, das Leben umzugestalten; alles übrige ist unnütz."

Thomas Mann zu Anton Tschechow

Einführung

Tschechows Existenz hat mein Leben verändert. Ich verdanke Tschechow UNENDLICH viel: auch im endlichen Leben kann es Unendliches geben. Seit fünfundzwanzig Jahren lese ich seine Geschichten, seine Stücke, seine Briefe, seine REISE NACH SACHALIN - welch ein heldenhaftes Unternehmen wird da als "normale Reise" beschrieben und ich lese von Jahr zu Jahr anders, mit tieferem Verständnis, mit größerem Genuß. In seinem Werk ist etwas Besonderes enthalten.

Es gibt ein schönes Wort von Gorki über Dickens. Er nannte Dickens ein GENIE DER MENSCHENLIEBE. Gorki hat auch gut und genau über Tschechow geschrieben (sie kannten sich, und Tschechow hat aus Protest gegen Gorkis Ausschluß aus der Russischen Akademie seine eigene Mitgliedschaft gekündigt), aber dieses auf Dickens geprägte Wort schien mir immer auch zu Tschechow zu gehören. Das war ein Mann, der die Menschen liebte.

In früheren Zeiten wurden ja Worte gebraucht wie Menschenfreund, Menschenfeind, Menschenliebe. Uns scheinen sie etwas veraltet und nicht recht zu unserer Weltanschauung zu passen. Aber Tschechows Menschenliebe war eine "materialistische". Er hatte nicht nur Medizin studiert, er war ein richtiger Arzt, der Ursache und Wirkung in Zusammenhang sah. Menschenliebe hieß für ihn, seinen Zeitgenossen zu sagen: SCHLECHT LEBT IHR! Das hätte auch ein Moralist SAGEN können. Für den Schriftsteller kam es darauf an, das zu beweisen. Nur wenn, was gezeigt wird, wie LEBEN ist, macht es einen Eindruck in uns. Das Wort muß sinnliche Gewalt besitzen.

Abgesehen vom SCHARFBLICK des Schriftstellers gibt es einen Arbeitsprozeß, in dem das Wortgefüge gebaut, verstrebt, verdichtet wird, bis es die Wirklichkeit einfängt. Tschechow war nicht nur ein GENIE DER MENSCHENLIEBE, er war auch ein Mann der Arbeit.

Buchclub 65
Verlag Neues Leben, 1977
Illustrationen: Peter Muzeniek
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ulrike Hirschberg
Mit einer Einführung von Eva Strittmatter

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