08 September 2021

La Rochefoucauld: Reflexionen oder Sentenzen und moralische Maximen


 La Rochefoucauld (1613-1680) war ein Kind seiner Zeit: Als Angehöriger des Hochadels versuchte er, die absolutistische Entwicklung aufzuhalten, und beteiligte sich an der Fronde. Nach dem Scheitern dieses Aufstands gegen die Zentralgewalt führte er zunächst auf seinen Besitzungen und später in Paris ein Leben, das ihm Zeit und Muße ließ, seine Erfahrungen zu Papier zu bringen. Er wählte dazu zwei in seiner Zeit beliebte Gattungen: Maximen und Memoiren. Die Maximen erregten die Gemüter nicht nur seiner Zeitgenossen, denn in ihnen sind die Erkenntnisse eines Mannes komprimiert, der intensiv gelebt und so viel Menschenkenntnis gesammelt hat, daß er die verborgendsten Triebfedern menschlichen Verhaltens beim Namen zu nennen wagte. Unter dem Einfluß von zeitgenössischen Theorien wie der cartesianischen Auffassung der Leidenschaften oder der jansenistischen Theorie der Erbsünde gelangt er zwar zu Urteilen, die in ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit nicht immer zu akzeptieren sind, doch werden sie in der Konfrontation mit der Erfahrungswelt des Lesers auch heute noch zu einem Erlebnis, das Gedanken und Gefühlen neue Dimensionen erschließt.

Aus dem Vorwort zur 1. Auflage 
(1665)

Mitteilung an den Leser

Dieses Porträt des menschlichen Herzens übergebe ich der Öffentlichkeit unter dem Titel "Reflexionen oder moralische Maximen". Es läuft Gefahr, nicht jedermann zu gefallen, denn man wird vielleicht finden, daß es zu ähnlich und zu wenig schmeichelhaft ausfiel. Es ist klar, daß es nie die Absicht des Porträtisten war, dieses Werk zu veröffentlichen, und es läge noch in seinem Arbeitszimmer verschlossen, wenn nicht eine böswillige Kopie, die davon im Umlauf ist und die sogar seit einiger Zeit in Holland kursiert, einen seiner Freunde veranlaßt hätte, mir eine andere Kopie zu übergeben, die, wie er sagt, ganz und gar mit dem Original übereinstimmt; doch wie getreu sie auch immer ist, sicher wird sie der Kritik gewisser Leute nicht entgehen, die es nicht dulden, wenn man in die Tiefe ihres Herzens eindringt, und die sich im Recht fühlen, wenn sie nicht zulassen, daß andere sie erkennen, denn sie wollen sich selbst nicht erkennen...

Reclams Universal-Bibliothek Band 678, 7. Auflage
Aus dem Französischen von Helga Bergmann und Friedrich Hörlek
Nachwort von Helga Bergmann
Belletristik

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