Krystyna Wituska, eine junge Polin, im April 1943 im faschistischen Deutschland wegen konspirativer Tätigkeit zum Tode verurteilt, schreibt im Juni 1943 für eine polnische Mitgefangene „ein altes deutsches Gebet“ auf. Wie seltsam, wie bedrängend nah – drei Jahrzehnte fast nach Krystynas Tod durch die Hand eines deutschen Scharfrichters – erscheinen uns in diesem Brief einer Polin an eine Polin die wohlbekannten Verse von Paul Gerhardt: „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir.“
Beim Lesen dieser Aufzeichnungen ersteht vor uns das Bild eines Menschen, der uns weit voraus ist, weil er sich selbst unerbittlich überwinden mußte: Krystyna, zweiundzwanzigjährig bei ihrer Verhaftung, ein verwöhntes junges Mädchen mit blondierten Haaren, aus Abenteuerlust in eine Widerstandsgruppe eingetreten, und wenig mehr als vierundzwanzig Jahre alt beim Tod – bis zur letzten Stunde voller Liebe für ihre Eltern und Freunde.
Spricht schon der liebevolle Brief mit den Paul-Gerhardt-Versen an Marysia, die weiterleben darf, von dem Annehmen des eigenen nahen Todes, so wird in den vorangehenden Zeilen an Wandzia ganz deutlich, in welchem Maße die Schreiberin über ihr Geschick hinausgewachsen ist: „… der Tod erschreckt mich gar nicht, und wenn ich sterben muß, werde ich glücklich sterben in der Gewißheit, daß Ihr beide, meine teuersten Mädchen, gerettet seid.“
Vor uns werden die letzten Seiten eines Lebens aufgeschlagen, das kaum begonnen hatte und doch in unfaßlicher Weise zu einer Reife gelangte. So wie Krystyna die fremde deutsche Sprache immer flüssiger schreiben und sprechen lernte, so lernte sie auch immer selbstverständlicher mit dem Tod zu leben, und das bedeutete konkret: jeden Mittwoch zu überleben, an dem man die Todeskandidaten nach Plötzensee brachte. Vierzehn lange Monate ließ man ihr dazu Zeit. Ein Wunder, daß diese Frist nicht nur Qual bedeutete, ein Wunder, daß Krystyna jede schöne Stunde wie ein Geschenk vom Himmel betrachten konnte: „Ich glaube, daß Gott die Gefangenen nicht verläßt.“
Die Äußerungen des Zweifels und der Widerwille gegen eine „Frömmigkeit, die aus der Gefängnissituation erwächst und zwar nur darum, weil es sonst keine andere Rettung mehr gibt“, machen diese Bekenntnisse um so glaubwürdiger.
Ein ausführliches Vorwort der Herausgeberin informiert über den historischen Hintergrund des Prozesses gegen die Widerstandsgruppe, der Krystyna Wituska angehörte.
Evangelische Verlagsanstalt Berlin, 1973
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