„Gegen Weihnachten des Jahres 1844, als mein ältester Sohn drei Jahre alt war, ging ich in die Stadt, um demselben zum Festgeschenke ein Bilderbuch zu kaufen, wie es der Fassungskraft des kleinen menschlichen Wesens in solchem Alter entsprechend schien. Aber was fand ich? Lange Erzählungen oder alberne Bildersammlungen, moralische Geschichten, die mit ermahnenden Vorschriften begannen und auch schlossen.
Als ich damals heimkam, hatte ich aber doch ein Buch mitgebracht; ich überreichte es meiner Frau mit den Worten: ‚Hier ist das gewünschte Buch für den Jungen!’ Sie nahm es und rief verwundert: ‚Das ist ja ein Schreibheft mit leeren weißen Blättern!’ – ‚Nun ja, da wollen wir ein Buch daraus machen!’ Damit ging es nun aber so zu. Ich war damals, neben meinem Amt als Arzt der Irrenanstalt auch noch auf Praxis in der Stadt angewiesen.
Nun ist es ein eigen Ding um den Verkehr des Arztes mit Kindern von drei bis sechs Jahren. In gesunden Tagen wird der Arzt und der Schornsteinfeger gar oft als Erziehungsmittel gebraucht: ‚Kind, wenn du nicht brav bist, kommt der Schornsteinfeger und holt dich!’ oder: ‚Kind, wenn du zu viel davon issest, so kommt der Doktor und gibt dir bittere Arznei, oder setzt dir gar Blutegel an!’ Die Folge ist, daß, wenn in schlimmen Zeiten der Doktor gerufen in das Zimmer tritt, der kleine kranke Engel zu heulen, sich zu wehren und um sich zu treten anfängt. Eine Untersuchung des Zustandes ist schlechterdings unmöglich.
Da half mir gewöhnlich rasch ein Blättchen Papier und Bleistift; eine der Geschichten wie sie in dem Buche stehen, wird rasch erfunden, mit drei Strichen gezeichnet, und dazu möglichst lebendig erzählt. Der wilde Oppositionsmann wird ruhig, die Tränen trocknen, und der Arzt kann spielend seine Pflicht tun.
So entstanden die meisten dieser tollen Szenen, und ich schöpfte sie aus vorhandenem Vorrate; einiges wurde später dazu erfunden, die Bilder wurden mit derselben Feder und Tinte gezeichnet, mit der ich erst die Reime geschrieben hatte, alles unmittelbar und ohne schriftstellerische Absichtlichkeit. Das Heft wurde eingebunden und auf den Weihnachtstisch gelegt. Die Wirkung auf den beschenkten Knaben war die erwartete; aber unerwartet war die auf einige erwachsene Freunde, die das Büchlein zu Gesicht bekamen. Von allen Seiten wurde ich aufgefordert, es drucken zu lassen und es zu veröffentlichen…“ – Heinrich Hoffmann
Edition Peters 1979
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