09 September 2022

Walter Schell: Die Verurteilung des Hauptmanns Mack


 Dirlewanger nickte vor sich hin. Das hatte er gewußt. Mack war ihm als ein tüchtiger Zugführer geschildert worden, aber er hatte gleich gesehen, daß der Mann zu weich war.

"Wissen Sie, Untersturmführer", sagte Dirlewanger, "lassen Sie die beiden mal vorführen." Anna und Stefan wurden hereingeführt. Dirlewanger musterte die Frau aufmerksam. Er ging auf Stefan zu und schlug ihm links und rechts ins Gesicht. Anna zuckte bei jedem Schlag zusammen. Stefan rührte sich nicht.
"Wo steckt deine Partisanengruppe?"
Stefan schwieg.
"Wer ist der Verbindungsmann hier im Dorf?"
Stefan schwieg.
Dirlewanger wandte sich zu Mack. "Untersturmführer, sagen Sie der Frau Professor, sie soll sich zur Wand drehen. Dann nehmen Sie Ihre Pistole und zählen langsam bis zehn. Wenn Ihr Professor bis dahin seinen Mund nicht aufkriegt, ist er Witwer."
Mack war auf einmal sehr allein. Ich kann doch Anna nicht erschießen, dachte er und sagte:
"Jawohl, Gruppenführer."
Ich kann doch Anna nicht erschießen, dachte er. Indem er es dachte, erschrak er. Er hatte einen Befehl bekommen, und etwas in ihm lehnte sich dagegen auf. Er öffnete seine Pistolentasche. Wegen Befehlsverweigerung war er zu Dirlewanger gekommen. Widersetzte er sich noch einmal, ging es ihm an den Kragen. Ein Lächeln verzerrte sein Gesicht. Da hatte er eine Regung von Menschlichkeit verspürt, und gleich stand er in einer Reihe mit dem Volksverräter und Todeskandidaten Professor Slavik.
"Wenn Sie nicht antworten, stirbt Ihre Frau, Herr Professor", sagte er. Das Sprechen machte ihm Mühe, denn sein Mund war ganz trocken. Dann begann er zu zählen...
Nichts ist mehr übrig von Menschlichkeit und Menschenwürde in dem blonden deutschen Heldenjüngling Franz Mack: Recht ist, was Deutschland nützt, und Unrecht geschieht, damit Deutschland endlich Recht bekommt. Das ist seine Parole.

Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung, 1959

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