Wojciech Żukrowski, der 1916 geborene, in seinem Heimatland sehr erfolgreiche Autor, dessen Bücher in Polen in fast zwei Millionen Exemplaren verbreitet sind und bereits in sechzehn Sprachen übersetzt wurden, ist bei uns durch seinen Roman «Tage der Niederlage» und die beliebten Kinderbücher «Entführung in Tiutiurlistan» und «Mein Freund der Elefant» bekannt geworden. Mit dem vorliegenden Band wird der katholische Schriftsteller zum erstenmal in deutscher Sprache mit einer Auswahl aus seinem vielfältigen erzählerischen Schaffen vorgestellt. Eine Reihe dieser Erzählungen zeigen deutliche autobiographische Züge, sie enthalten Kindheits- und Familienerinnerungen, greifen auf Erlebnisse Zukrowskis als Offizier im Krieg von 1939, bei der Arbeit im Steinbruch und im Kampf der polnischen Untergrundbewegung zurück und spiegeln, in zeitlicher Folge angeordnet, ein Stück persönlich erlebter Geschichte
Buchanfang
Der Tyrann oder Ein Sargporträt
Kennt ihr die dunklen Barockporträts auf Sechsecken aus Eichenholz oder Kupferblech? Manchmal hängt sie der Pfarrer, um dem Familienehrgeiz der Patronatsherren zu schmeicheln, unter dem Tonnengewölbe der Sakristei auf, an der dick geweißten Wand, deren Unebenheiten der Staub ausgeglichen hat. Auch in Kirchengruften findet man sie; sie sind auf gewaltigen Särgen angebracht, in denen sich ausgetrocknete Gestalten in vermoderten Trachten breitmachen.
Ich erinnere mich eines derartigen unterirdischen Gewölbes in der Kulikower Kirche. Geräuschlos schritt ich über den trockenen Sand, der so fein war wie gesiebte Asche. Aus der Dunkelheit kam ein kaum wahrnehmbarer Geruch von Schwefel und – schwächer noch – von ranzigen Nüssen. Es war so still, daß ich das Knistern des Dochtes hörte; das rotgesäumte Flämmchen wallte leicht, als rühre jemand mit einem Stöckchen in abgestandenem, herbstlichem Wasser. Ich sah die Gesichter auf den Trauerporträts, die Särge, die sich bis zur Decke türmten. Der flackernde Schein beleuchtete den gelblichen Fleck eines Antlitzes, das eingefaßt war vom Weiß einer Haube oder von einem ausrasierten grauhaarigen Schopf; nur die weitgeöffneten Augen blickten lebhaft und aufdringlich.
Wißt ihr, wie solche Sargporträts entstanden? Der herbeigerufene Farbenkleckser, der sich vorher noch schnell ein bißchen Mut antrank, malte sie in Eile, über den Leichnam gebeugt. Ein stilles, erloschenes Gesicht, wie aus Wachs.
Inhalt
5 Der Tyrann oder Ein Sargporträt
31 Das Abendbrot
45 Das Homen
52 Knabenspiele
59 Lotna
110 Vor der Pforte
143 Im Steinbruch
169 Das Begräbnis
178 Saubere Arbeit
208 Mli-Mli
230 Ein nächtliches Gespräch
262 Die Diagnose
270 Marylas Herzchen oder Die Rache
282 Ariadnes Nächte
Union Verlag (VOB) Berlin, 1967
Aus dem Polnischen übersetzt von Kurt Kelm
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