20 Oktober 2022

Brigitte Struzyk: Caroline unterm Freiheitsbaum. Ansichtssachen

Caroline Schelling, geborene Michaelis, verwitwete Böhmer, geschiedene Schlegel, war eine der interessantesten Frauen der Frühromantik. Berühmten Männern wie Georg Forster, den Gebrüdern Schlegel oder Schelling stand sie in den produktivsten Phasen zur Seite. Schon zu Lebzeiten war Carolines Existenzweise eine Herausforderung für zeitgenössische Kleingeister, weil sie sich konsequent und unbeirrbar an den Grenzen der Konvention bewegte. Brigitte Struzyk fügt aus knappen, poetischen Szenen ein romanhaftes Lebensbild dieser vitalen Frau.

Buchbeginn

Man zog einen mystischen Vorhang vor dieses Gewächs, um das Publikum glauben zu machen, es stäken große Dinge dahinter, sehr blutige und sehr delikate, aber keine Hausmannssachen. Auch waren Webart und Zuschnitt sehr verschieden, gemein war allen, daß der Stoff rot war, vor Blut, vor Zorn, vor Hoffnung auch.

Nun, da der Vorhang gefallen, steht in trübem Licht ein Pfahl da, der die Stätte bezeichnet, wo liberté, éga lité und fraternité begraben liegen. Also, her mit den Leichenschändern! Denn das Pflänzchen Wildwuchs ist so mager und geil – ein einziger Setzling auf einem zugigen Kahlschlag, flankiert von fünf Galgen.

Am Boden bleiben!

Für den einen bedeutet er Dreck, für den anderen Leben. Her mit der Pflugschar! Reichlich Saatgut für eine dürftige Ernte. Die geistigen Spuren freilich sind tief, was nichts heißen will.

Es gibt auch praktische Naturen. Damian Hessel zum Beispiel aus Paderborn. Er ging in Mainz zum Abendmahl, ließ den Goldkelch mitgehn. Er wurde gefaßt, von Blau und Dorsch samt Goldkelch wieder auf freien Fuß gesetzt. Nun ist er Räuber geworden. Caroline sitzt als Geisel auf der Feste Königstein und strickt vom Geduldsfaden Kinderhemdchen.

Sie wird einfach losgehn, wenn das Tor sich öffnet. Wohin, wird sich zeigen... Wenn die Bäume sterben, sind die Menschen dran!

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1988

 

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