„Dieses unbestechliche Gedächtnis, das nur bewahrt, was vielen Menschen von Nutzen ist und niemandes Verwaltung untersteht und uns allen gehört“ – so verstanden, wird Weltliteratur zu einem unerschöpflichen Reservoir menschlicher Möglichkeiten, eine ständige Herausforderung an ihre Leser.
Einundzwanzig DDR-Schriftsteller äußern sich über Dichter und Werke der modernen Weltliteratur – u. a. über Isaac Bashevis Singer, Albert Camus, Thomas Mann, James Joyce, Pablo Neruda, Jorge Luis Borges, Juri Trifonow, Anton Tschechow, Jaroslav Hašek, Ernst Toller, Anna Seghers, Odysseas Elytis – und aktivieren auf sehr verschiedene Weise einzelne Schichten dieses Gedächtnisses der Menschheit. Nachhaltige Leseerlebnisse regen die Autoren zu intensiver Beschäftigung mit dem jeweiligen Dichter an. In der literarischen Vertiefung stoßen sie immer wieder auf eigene Lebensfragen und denken darüber nach, wie sich menschliches Sein in der heutigen Welt bewahren kann. Das Zusammentreffen der Individualität des Autors mit dem künstlerischen Reichtum des Werkes öffnet die Möglichkeit natürlicher menschlicher Kommunikation, in der es Erschütterung gibt und Bereicherung, in der man nach Orientierung und Genuß sucht. Die Vielstimmigkeit der hier geäußerten Meinungen ist ein Angebot zur Diskussion, die der Leser mit seiner Stimme bereichern kann.
Buchanfang
Karl Heinz Berger
Ein exakt beschriebenes Leben
Über Ludwig Renn
Sich an Ludwig Renn zu erinnern bedeutet, an einen weiten Weg zu erinnern, der durch die Länder der Erde und durch die Kriege und durch die Kämpfe der Klassen führte; sich an Ludwig Renn zu erinnern bedeutet auch, sich an den Mann zu erinnern, der diesen Weg in über neunzig Jahren gegangen ist, in Würde und stets engagiert für das, was er als notwendig ansah und das zu fördern er für seine Pflicht hielt. Es ist ein gut dokumentierter Weg überdies, wobei gut dokumentiert sowohl bedeutet, daß es zu ihm reichlich Material gibt, als auch, daß er von einem guten Dokumentaristen belegt ist, eigentlich von dem besten, der sich vorstellen läßt: von dem Mann selbst, der ihn gegangen ist.
Ich habe nur einmal eine Unterhaltung mit ihm gehabt – er war damals schon über das achtzigste Jahr hinaus (was man ihm beileibe nicht ansah), in seinem Kaulsdorfer Haus und bei einer Kanne Tee und Gebäck. Es ging um die Adaption eines seiner Werke für das Fernsehen, und alle Befürchtung, er könnte bei seinem Alter nicht mehr die rechte Anteilnahme dem Unterfangen von – für ihn jungen – Leuten aufbringen, die ein Stück Vergangenheit anhand seines Erlebens nacherlebbar machen wollten, erwies sich zumindest als voreilig. Er war „dabei“, nicht nur, indem er Interesse an unserem Vorhaben zeigte, vielmehr noch dadurch, daß er Ratschläge gab – unaufdringlich und ohne auf seiner Meinung zu beharren, also ein wirklicher Ratgeber war, der sich auch aufs Detail einließ.
Inhalt
Karl Heinz Berger
Ein exakt beschriebenes Leben. Über Ludwig Renn ..... 5
Klaus Beuchler
Sprachvirtuos und Spielemacher. Leseerlebnis mit Ulrich Becher ..... 11
Günther Deicke
Das dringt ins Gedächtnis. Einleitungsvortrag zu einem Eminescu-Abend ..... 16
Wolfgang Eckert
Bin ich ein Verehrer Jaroslav Hašeks? Über den Autor des braven Soldaten Schwejk ..... 21
Rolf Floß
Von weither nach weithin. Über Juri Trifonow 2..... 8
Uwe Grüning
Der Gott des Labyrinths. Über Jorge Luis Borges ..... 34
Helmut Hauptmann
Die fast verschwiegene Nuance. Über Anna Seghers. ..... 42
Heinz Kablau
Einer von ihnen: Arghezi. Über einen rumänischen Dichter ..... 48
Walter Kaufmann
Der waghalsige junge Mann auf dem fliegenden Trapez. Über William Saroyan ..... 56
Rainer Kerndl
Zwischen Feuer und Wind. Über Mahmoud Darwish ..... 61
Wulf Kirsten
Literatur als Überlebenshilfe. Zu Nico Rosts Tagebuch „Goethe in Dachau. Literatur und Wirklichkeit". Über einen niederländischen Autor ..... 70
Joochen Laabs
Die bestürzende Nähe der Ferne. Über John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns" ..... 75
Armin Müller
Wer den Traum sich bewahrt, bewahrt sich das Leben. Ernst Tollers
Schwalbenbuch ..... 83
Thomas Nicolaou
Mich halten nicht die Pomeranzen. Über Odysseas Elytis ..... 89
Joachim Nowotny
Eine nicht nur finnische Geschichte. Über Veijo Meri ..... 99
Jürgen Rennert
Widerspruchsvoll denken und leben. Über Isaac Bashe vis Singer ..... 104
Bernd Schirmer
Allein im geliebten Land. Über Albert Camus ..... 111
Claus B. Schröder
Eines Tages, sieben Jahrzehnte später. Über Thomas Manns Novelle „Der Tod in
Venedig" ..... 116
Jo Schulz
Dublin und die Gründe. Über James Joyce ..... 120
Hans Weber
Anton Pawlowitsch ist unterwegs. Gedanken zu Tschechow ..... 128
Walter Werner
Die glücklichen Verwandlungen. Über Pablo Neruda ..... 132
Helmut Baldauf
Die leise Stimme oder Erfahrungen mit Weltliteratur. Über Sadako Kurihara ..... 141
Zu den Beiträgen ..... 151
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1984
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