26 Januar 2023

Stendhal: Rot und Schwarz


Teil 1
Julien Sorel ... mußte Priester werden, wenn auch ohne an die Religion zu glauben, denn ein Bürgerlicher konnte nur so auf hohe Stellen gelangen. Er mußte der Sekretär eines hohen Ministers sein und haßte das herrschende System. Er hatte ein aussichtsloses, aber stürmisches Liebesverhältnis mit der Tochter des Ministers. Sozial genommen war er für sie ein Domestik. Er liebte, in anderem Stil, aber auch mit seiner vollen Natur, die sanfte Frau eines Industriellen in der Provinz. Für diesen war er ein Bettler. Er begehrte alles, was über ihm stand, und seine Leidenschaft war jedesmal vermischt mit Haß. Er war feurig, mußte verschlagen sein, haßte sein Geschick und darum alle anderen. Er kämpfte in der allein zulässigen Form, er wühlte. Verzweifelnd wühlend, hatte er die Selbstachtung schon verloren, als er endlich auch mordete. Es war eine Art freiwilligen Todes, in den er die sanfte Rènal nur mitnahm. Dann endete er unter dem Fallbeil. - Heinrich Mann

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1978
Aus dem Französischen: Rudolf Lewy, bearbeitet von Elisabeth Schneider
Nachwort: Manfred Naumann
TdW - Taschenbuch der Weltliteratur
Abbildung: Claude Monet "Frau im Garten" (Ausschnitt)


Teil 2
Stendhal ging es um eine Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft. Da keine vorhanden war, war er gezwungen, seine Helden allein, auf sich gestellt, in eine ihnen feindliche Welt hinauszuschicken. Sie scheiterten, mußten scheitern, weil Stendhal klarblickend genug war, zu erkennen, daß das Duell des einzelnen mit der Gesellschaft nur mit der Vernichtung des einzelnen enden konnte. Der Bauernsohn Julien Sorel wird hingerichtet, weil "er sich gegen die Niedrigkeit des Schicksals empört hat". Die Frage nach einer Form der gesellschaftlichen Ordnung, die Julien vor einem solchen Leben und vor einem solchen Tode hätte bewahren können, blieb unbeantwortet. Die Größe Stendhals aber besteht darin, daß er diese Frage überhaupt stellte. - Manfred Naumann

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1978
Aus dem Französischen: Rudolf Lewy, bearbeitet von Elisabeth Schneider
Nachwort: Manfred Naumann
TdW - Taschenbuch der Weltliteratur
Abbildung: Claude Monet "Frau im Garten" (Ausschnitt)

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