25 Mai 2023

Renate Seydel (Hrsg.): Schauspieler erzählen über sich und andere

Künstlermemoiren sind Persönlichkeitserinnerungen, sind Bemühungen, das Leben zu beschreiben, darzustellen, wie es wirklich war, nicht, wie man es rückschauend gerne sieht. Theater ist Sinnbild der Vergänglichkeit. Eine Theateraufführung gefällt – verfällt – zerfällt. Auch die an ihr Beteiligten sterben. Nichts bleibt übrig als die Erinnerung der Zuschauer. Alles, was da war und lebte, ist vergangen.
Warum schreiben Schauspieler über ihr Leben? Über ihre Arbeit, Triumphe und Fehlschläge? Über Kollegen, Regisseure, Proben, über ihre Ausbildung und über das Publikum, für das alles gemacht ist? Schauspieler gelten als eitel. Ich habe mich bemüht, nichts Eitles und nichts Geschwätziges auszuwählen. Ich habe versucht, Schauspieler zum Schreiben zu bringen. Über sich. Und das ist nicht leicht.

Renate Seydel



Buchanfang
Josef Kainz
Erster Held
und jugendlicher Liebhaber

Wieder einmal unter Menschen sein...
Marburg 16. 10. 1875
Ich bin jetzt der Tonangebende, ganz Marburg kennt mich schon. Ich habe aber auch, solange ich beim Theater bin, noch nie so gut ausgesehen wie gestern. Der Obergarderobier wurde bald rasend vor Entzücken. »Herr Direktor!« rief er einmal ums anderemal, »das ist ein jugendlicher Held! Was? Sehen Sie, so stelle ich den jugendlichen Helden her!« Ich kann mich aber auch nicht genug verwundern über die Pracht der Kostüme und über deren minutiöse Richtigkeit. Ich hatte im ersten Akt ein ganz neues wunderbares lila Samtwams, mit großen Stahlsternen ganz benäht, darüber einen blausamtenen Überwurf mit Silber- und Stahlketten behängt und weit ausgeschnitten, einen rundgebrannten Kopf mit Schmachtlocken, graues Trikot und meine Streitschuhe. Im letzten Akt hatte ich ein prachtvolles Goldschuppen-Trikot, einen wunderbaren Goldharnisch, der mir wie angegossen saß, darüber ein schwarzes, weit ausgeschnittenes Samtwams mit Silber. Dazu ein prachtvolles Schwert in schwarzer Samtscheide und einen zierlichen Messinghelm mit wirklich zwanzig großen wallenden Straußenfedern. Dazu goldene Sporen. Ob ich so gut gespielt habe wie ich gut ausgesehen, bezweifle ich. Das Publikum scheint hier an nicht viel Gutes gewöhnt zu sein. Denn ich glaube kaum, daß man mit einer so großen Rolle, die man in nicht ganz zwei Tagen lernt und studiert und mit einer Probe vor einem kunstverständigen Publikum durchschlagen kann. Ich muß mich sehr in acht nehmen, daß ich mir keine Unarten angewöhne und nicht zu »arrogant werde«; denn ausgebessert wird mir hier nichts mehr werden. Der Direktor sagte mir sogar, ich sollte bei der Probe nur markieren. Aber das tu' ich nicht, ich gewöhnte mir das zu leicht an, daß ich's am Ende bei der Vorstellung dann auch machte. Ich bin auf die Rezension begierig, der Rezensent soll sehr bissig sein. Wie sie herauskommt, werde ich sie Euch schicken...

Es erzählen:
Josef Kainz | Eduard von Winterstein | Ernst Legal | Max Reinhardt | Tilly Wedekind | Alexander Granach | Fritz Kortner | Gerhard Bienert | Lilli Palmer | Gustav Knuth | Wolfgang Heinz | Hubert von Meyerinck | Elisabeth Flickenschildt | Hans Söhnker | Marlene Dietrich | Willi Schwabe | Gisela May | Käthe Reichel | Alexander Lang

Gekürzte Ausgabe des in 2. Auflage 1978 im Henschelverlag erschienenen Buches »...gelebt für alle Zeiten«

Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin

1. Auflage 1980
2. Auflage 1981

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