29 Juni 2023

Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder

 "Gerne gebe ich zu, daß ich anfangs enthusiastisch an die Möglichkeit eines unabhängigen demokratischen Weges zum Sozialismus glaubte, die Hoffnung einer antifaschistischen demokratischen parlamentarischen Republik mit allen Rechten und Freiheiten für das Volk und einen allmählichen Übergang zu einem demokratischen Sozialismus. Aber schon seit Anfang 1947, mit der zunehmenden Sowjetisierung und Stalinisierung, wurde es für mich deutlich, daß dies eine Illusion gewesen war. ...
In diesem Buch versuche ich bewußt, die Begegnungen und Diskussionen, Ereignisse und Erlebnisse so zu schildern, wie ich sie damals gesehen und empfunden, damals gefühlt und gedacht habe. Nur dadurch, so scheint mir, wird dem heutigen, oft jüngeren Leser verständlich, warum nicht wenige von uns damals diese Ideologie glaubten und sich diesem System verpflichtet fühlten, wann und wie die ersten kritischen Gedanken auftauchten und was der Bruch mit dem Stalinismus für einen Menschen bedeutet hat, der in dieser Lehre aufgewachsen war. Die Entscheidung ist das Ergebnis eines jahrelangen qualvollen Prozesses des Zweifelns und der Rechtfertigung, der Gewissensqualen und der konstruierten Theorien zu ihrer Beruhigung." (Wolfgang Leonhard)

Reclams Universal-Bibliothek
Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte

Wolfgang Leonhard (geb. 1921) berichtet von seinem zehnjährigen Aufenthalt in der Sowjetunion 1935 bis 1945, dem Leben im Kinderheim (die Mutter wurde verhaftet und eingesperrt), dem Studium, der Deportation nach Karaganda, seiner Schulung zum Funktionär der Komintern und von seiner Arbeit im "Nationalkomitee Freies Deutschland". Leonhard beschreibt den Prozeß seiner Lösung vom Stalinismus und seine Erfahrungen in der sowjetischen Besatzungszone als Mitglied der "Gruppe Ulbricht", beim Aufbau des neuen Staates und der Gründung der SED, als Parteifunktionär und Hochschullehrer. Die Hetzkampagne gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der jugoslawischen Kommunisten veranlaßt ihn zu seiner spektakulären Flucht nach Belgrad.
"Seit meiner Flucht im März 1949 habe ich auf Reformen, auf eine Liberalisierung und Demokratisierung in den Ländern Mittel- und Osteuropas und der Sowjetunion gehofft. So bekannt mein Buch in allen westlichen Ländern geworden ist - auf eine Veröffentlichung in der Sowjetunion und der DDR mußte ich sehr lange warten." (Wolfgang Leonhard 1990)

Reclams Universal-Bibliothek
Philosophie, Geschichte, Kulturgeschichte


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.