07 August 2023

Dinah Kalinowskaja: Oh, dieser Samstag!

Inhalt
Dinah Kalinowskaja war viele Jahre erfolgreich als Journalistin tätig, ehe 1980 ihre erste größere Arbeit, die Novelle "Oh, dieser Samstag!", erschien, für die sie zugleich eine Auszeichnung der renommierten Literaturzeitschrift "Drushba narodow" erhielt. Als Schauplatz der Handlung wählte sie ihre Heimatstadt Odessa, deren südlichen Zauber sie ebenso überzeugend schildert wie die liebenswerten Eigenheiten mancher zum Kauzigen neigenden Bewohner. Teils heiter-ironisch, teils überschattet von leiser Trauer, in vielem der Tradition der Romane eines Singer oder Rybakow verhaftet, erzählt sie die Geschichte einer weitverzweigten jüdischen Familie und verfolgt die Wege von zahlreichen Menschen, denen das Schicksal bisweilen übel mitgespielt hat, die aber dennoch den Lebensmut nicht verlieren. Dramatisch zugespitzte Situationen, diffizile Probleme aufzugreifen liegt ihr fern, sie beschränkt sich auf die Wiedergabe der "kleinen Welt" ihrer Helden, sieht alles in einem versöhnlichen milden Licht: "In die treuherzige Fabel von Erwartung und Wiedersehen fand keine Feindschaft Zugang."

Mit den unterschiedlichen Gefühlen wird Harry Stein, heute ein wohlsituierter Geschäftsmann in den USA, von seiner Jugendfreundin Maria, dem Freund Saul Isaakowitsch und seinen Brüdern Salomon und Sinowi Steimann erwartet. In den Wirren des Bürgerkrieges hatte er, der früher einmal Hersch hieß und später als Grischa Steimann eifrig für die Sowjetmacht agitierte, die Heimat und seine Maria verlassen, nun, auf einem Touristentrip für kurze Zeit in Odessa, glaubt er mit seinem Besitz in Übersee vor den Verwandten prahlen zu müssen, doch auch diese verweisen voller Stolz auf das, was sie erreicht haben...

Buchbeginn
Ein Brief
Durch die runden Gucklöcher am Postkasten schimmerte der Brief - der Postbote kam stets pünktlich um sieben.
"Schon seit drei Stunden ist er da, und ich weiß nichts." Maria Isaakowna schob den ausländischen Briefumschlag tief in den Ärmel, ihre Filzlatschen patschten hastiger. Der altgediente Mülleimer quietschte. Aber sie hatte es nicht eilig, den bläulichen Umschlag aufzureißen. Zuerst ging sie in die Küche, spülte den Eimer sauber, stellte ihn zum Trocknen umgekippt außen auf den Fenstersims, drehte den gar nicht tropfenden Wasserhahn fester, räumte eine Bratpfanne vom Herd - abwaschen oder nicht? Beschämt von so viel Feigheit, seufzte sie kurz und ging in ihr Zimmer, schloß die Tür zu und setzte die Brille auf.

Dinah Kalinowskaja wurde in Odessa geboren; erhielt eine Ausbildung als Werkzeugmacherin; besuchte das pädagogische Institut und studierte Choreographie; arbeitete in verschiedenen Berufen: als Pionierleiterin in einer Schule, als technische Zeichnerin, als Konstrukteurin und Designerin in einem Werk für Maschinenbau und gab Ballettstunden. 1958 debütierte sie mit journalistischen Arbeiten in der Odessaer Komsomolzeitung.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1986
Deutsch von Hilde Angarowa

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