Das ist ein Buch für Schüler, das ist aber auch, vielleicht besonders, ein Buch für diejenigen, die das Schulalter bereits hinter sich haben.
Der Aufsatz: er gehört zur Schule und ihren Aufgaben und ist oft doch etwas, was über das Übliche hinausgeht. Im Literaturunterricht aufgegeben, versetzt er den Schüler in geistige Anspannung oder einige Verlegenheit.
Die eigenen Ansichten und Schlußfolgerungen sind gefragt, Gedanken und Gefühle über sich und die Welt. Alltagserscheinungen oder Kunsterlebnisse sind zu durchdenken. Fragen sollen beantwortet werden: Was ist Glück? Wie soll mein Partner sein? Wie stelle ich mir die Zukunft vor?
Die Herausgeber haben authentische Aufsätze von Schülerinnen und Schülern im Alter von vierzehn bis neunzehn Jahren ausgewählt und in zehn thematische Abschnitte geordnet. Eine Vielzahl persönlicher Stimmen, die Auskunft geben über Ansprüche und Träume, über Lebenserfahrungen und Lebensauffassungen einer Jugend, deren Selbstbewußtsein geprägt ist von der Gewißheit, in einem Land zu leben, das ihr gute Chancen bietet.
Vorwort
Aufsätze gehören zwar zum Schulalltag, sind aber dennoch etwas Außergewöhnliches, nicht nur, weil sie nicht jeden Tag aufgegeben werden – sie versetzen den Schüler in eine besondere Spannung: Was jetzt abgefragt wird, ist mehr als das tägliche Wissenspensum. Mit dem gründlichen Durchdenken eines Themas ist die Suche nach bester Darstellung, nach logischer Gliederung und Beweisführung und ausdrucksvoller Sprache eng verknüpft. Vor allem: Ein Aufsatz verlangt, die eigene Meinung zu sagen, Gefühle nicht zu verschweigen, sondern sie mitzuteilen.
Aufsätze spiegeln darum auf die ihnen eigene Weise Zeitgeist und Zeitgefühl wider, bewußt oder unbewußt werden Subjektives und Objektives verbunden.
Nun wird aber ein Schüleraufsatz unter besonderen Bedingungen und mit bestimmten Absichten verfaßt. Der Lehrer stellt das Thema, hat manches dazu vorher besprochen und hofft, daß seinen Anregungen Erfolg beschieden ist. Der Schüler wiederum denkt nicht zuletzt auch an das, was der Lehrer erhofft, denkt an die Zensur. Er weiß, was erwartet wird, und hat doch oder gerade deshalb die Chance, schöpferischen Geist anzubieten.
Es gibt keinen Grund, seine Gefühle und Gedanken zu verbergen. Oberstes Erziehungsziel unserer sozialistischen Schule ist nichts Geringeres als die Herausbildung schöpferisch denkender und handelnder Persönlichkeiten. Dieser Maxime ist jeder Lehrer verpflichtet, und jeder ist wohl bestrebt, ihr zu folgen. Niemand wird nun daraus schlußfolgern, jedem Lehrer sei es gegeben, jedem Schüler höchste geistige Anstrengungen im Aufsatz abzuverlangen zu unterschiedlich sind die Fähigkeiten entwickelt, nicht nur die der Schüler, und ebenso die Bereitschaft und die Lust, statt Abgeschriebenem und Abgedroschenem den eigenen guten Ausdruck für den eigenen guten Gedanken zu nehmen. Andererseits wäre es unbillig, an einen Schüleraufsatz Maßstäbe wie an einen literarischen Text anzulegen. Worauf es hauptsächlich ankommt, ist sicherlich nicht mehr und nicht weniger, als daß ein Schüler versteht, sein Wissen und seine Überlegungen, seine Erfahrungen und Beobachtungen, seine Empfindungen und seine Fragen einleuchtend und überzeugend darzulegen. Daß dies auf vielfältige Weise und auf sehr unterschiedlichem Niveau möglich ist, belegt diese Sammlung von Schüleraufsätzen, die hiermit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Zum erstenmal erscheint in unserem Land eine solche Sammlung.
Die Idee zu diesem Unternehmen fand freundliche Unterstützung sowohl bei dem zuständigen Ministerium als auch bei Fachberatern, Fachkabinetten, Lehrern und vor allem bei den Schülern.
Mädchen und Jungen zwischen vierzehn und neunzehn Jahren, Schüler der zehnklassigen polytechnischen und der erweiterten Oberschule, Lehrlinge, die in der Berufsausbildung mit Abitur stehen, sowie Schüler von Spezialschulen – aus den Bezirken Frankfurt (Oder), Gera, Potsdam und der Hauptstadt Berlin – haben ihre Aufsätze vorgelegt. Die Schüler (eigentlich müßte man immer Schülerinnen und Schüler sagen) wußten, daß sie für ein Buch schreiben, das vom Verlag Neues Leben veröffentlicht werden sollte. Sie wurden also zu einer zusätzlichen Arbeit aufgefordert, die bestimmt mit viel Kraft und Mühe verbunden war. Die Aufsätze wurden Ende 1984 geschrieben. Die vorgegebenen Themen waren als Anregung zu verstehen und umfaßten verschiedene Seiten des Lebens: Sie reichten vom Alltag in der Familie und der Schule, von Freundschaft und Liebe über Reisen und Sport, Freizeit und Ferien, Begegnungen mit Kunst und Technik, Erlebnisse in der Natur bis zu Fragen nach dem Beruf, nach dem Glück, nach dem Sinn des Lebens.
Über tausendfünfhundert Aufsätze wurden eingesandt. Bei der Auswahl ließen wir uns davon leiten, den Arbeiten den Vorzug zu geben, die konsequente Problemdarstellung mit einem klaren Standpunkt verbanden und sich durch eigenständige Sicht oder inhaltliche Besonderheiten heraushoben. Die Auswahl fiel nicht leicht. Mancher Beitrag wurde genommen, weil er uns aus thematischen Gründen wichtig erschien; andere mußten, obwohl sie gedankliche Qualitäten aufwiesen, mit Bedauern weggelassen werden, damit größere Disproportionen zwischen einzelnen Stoffkomplexen vermieden wurden.
Es empfahl sich, die Aufsätze nach solchen Komplexen zu gruppieren. So ergab sich eine Gliederung in zehn Abschnitte.
Die meisten Beiträge wurden unverändert übernommen. Flüchtigkeitsfehler oder Abweichungen von der gebräuchlichen Orthographie und den Interpunktionsregeln wurden stillschweigend korrigiert. In einigen Fällen wurden Überschriften modifiziert oder hinzugefügt. Bisweilen schienen uns Kürzungen erforderlich; sie betrafen Längen oder Ähnlichkeiten in der Einleitung oder am Schluß.
Diese Auswahl wird der Öffentlichkeit in der Hoffnung übergeben, den Leser mit Äußerungen bekannt zu machen, die in verschiedener Hinsicht aufschlußreich sind und denen daher Bedeutung zukommt. Natürlich wäre es vermessen, aus dem, was die Aufsätze mitteilen, wissenschaftliche Schlüsse auf das Denken und Fühlen der Jugend der DDR zu ziehen. Das konnte und sollte nicht die Absicht dieser Sammlung sein. Was in diesem Buch vereinigt wurde, sind die Stimmen einzelner, die ihre Erfahrungen und Auffassungen äußern. Dennoch kommt ihnen, so scheint uns, gewisse Repräsentanz zu. Etwas nämlich wird ablesbar oder spürbar, was öffentliches Interesse verdient, etwas wahrscheinlich doch Signifikantes: Wesentliches vom Lebensgefühl unserer Jugend, vor allem ihr Friedensbewußtsein und ihre Zukunftsgewißheit.
Für diese Jugend gibt es keinen Zweifel, daß Arbeit und Frieden ein wirksames Programm sind und die gesellschaftliche Praxis des Landes, in dem sie lebt, in einem entscheidenden Maße prägen. Vertrauen zu diesem Land, Vertrauen in die eigene Zukunft spricht aus fast allen Beiträgen. Dieser Optimismus kann nicht als platte Wiedergabe eingelernter Weisheiten mißverstanden werden. Dahinter steht erlebter, erfahrener Alltag, ruhige Überzeugung, das Gefühl des Selbstverständlichen. Zugleich werden hohe Ansprüche artikuliert: tiefes Glücksverlangen, Rigorosität im moralischen Urteil, Sensibilität. Sie bezieht sich auf vieles, auf das Erlebnis der Kunst, der Natur, auf den Umgang mit Freunden, mit Älteren. Und immer wieder klingt die Sorge auf, alles, was dem Leben Sinn gibt und dem Menschen seelische Kraft und inneren Reichtum verleiht, gefährdet zu sehen durch jene, die an Konfrontation und Krieg interessiert sind. Und darum auch wird die Bereitschaft betont, das Leben schützen zu wollen, sich mit denen solidarisch zu verbinden, die für ihr Recht zu kämpfen gezwungen sind, und die Haltung jener zu bewahren, die dem Krieg und dem Faschismus Widerstand entgegensetzten.
Die Lebensauffassung, die in den Aufsätzen zum Ausdruck kommt, ist nicht die problemloser Genügsamkeit oder kleinlicher Unzufriedenheit. Ohne daß viele Worte darüber verloren werden, bleibt nicht unreflektiert, was die Dialektik des Lebens ausmacht: Es besteht nicht aus glatten geraden Wegen, bloßen Erfolgen und andauernder Fröhlichkeit. Es ist voller Schwierigkeiten und Fragen. Hindernisse sind zu überwinden. Entscheidungen sind zu treffen. Eine Meinung zu vertreten will gelernt sein. Enttäuschungen, Fehlschläge sind einzustecken. Traurigsein ist ein Gefühl, dessen man sich nicht schämen muß. Das Nachdenken über Tod und körperliche Behinderung, über Krankheit und familiäre Konflikte gehört dazu, führt aber nicht zur Resignation, sondern wird als Herausforderung gesehen, möglicher Gleichgültigkeit entgegenzuwirken und neue Kraft zu gewinnen. Alles indessen durchdringt eine Sehnsucht nach Harmonie, nach Friedlichkeit, nach sinnvollem Zusammenleben. Besonders die Mädchen zeigen derartige Gefühle offen und deutlich.
Diese Aufsätze, vielfach eine eindringliche Art der Selbstbefragung und wohl immer ein Beispiel vertrauensvoller Mitteilung, verdienen nicht nur Interesse, ihnen gebührt Achtung. Wir hoffen, daß die Leser unsere Meinung in dieser Hinsicht teilen und daß sie die Auswahl und Anordnung freundlich und doch nicht unkritisch aufnehmen. –
Das Buch wäre nicht zustande gekommen, hätten uns nicht viele geholfen. Ihnen allen, die an dieser Arbeit, in welcher Form auch immer, beteiligt waren, sei hiermit herzlich gedankt.
Berlin, Mai 1986
Die Herausgeber
Schutzumschlag, Einband und Illustrationen: Manfred Bofinger
Verlag Neues Leben, Berlin
1. Auflage 1986
2. Auflage 1988
Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
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