06 September 2023

Alfred Dreifuss: Deutsches Theater Berlin Schumannstraße 13a – Fünf Kapitel aus der Geschichte einer Schauspielbühne

Vorwort
Bereits im Jahre 1928, als der damalige Doktorand und spätere Theaterleiter Kurt Raeck seine Dissertation über das Deutsche Theater unter Adolph L'Arronge vorlegte, wurde auf die Tatsache verwiesen, daß bis zu diesem Zeitpunkt in der theaterwissenschaftlichen Literatur keine zusammenfassende Geschichte des Deutschen Theaters zu Berlin zu finden sei. Damals war diese Bühne immerhin 45 Jahre alt. Zwar ließ Adolph L'Arronge, Mitbegründer und späterer Direktor dieses Unternehmens, in seinem 1891 erschienenen Buch »Deutsches Theater und Deutsche Schauspielkunst« seine direktorialen Erfahrungen einfließen; auch gab 1909 der einstige Regisseur und Theaterdirektor Paul Legband in seinem Büchlein »Das Deutsche Theater in Berlin« durch die Feder verschiedener Autoren Kunde über das Profil dieser Bühne, die damals im vierten Direktionsjahr von Max Reinhardt stand. Aber dann – und die Jahreszahl 1909 sei wiederholt – trat in der Geschichtsschreibung dieses Hauses eine unschöpferische Pause ein. Nicht daß es, und dies besonders nach dem grundlegenden Artikel »Das Deutsche Theater in Berlin« von Julius Hart (1899/1900), an Zeitungsartikeln, Broschüren und kleineren Einzelpublikationen gemangelt hätte – man erinnere sich beispielsweise der schmalbrüstigen Festschrift anläßlich des 70jährigen Jubiläums des Hauses in der Schumannstraße 13a im Jahre 1953. Aber erst das Jahr 1957 brachte den Theaterfreunden wieder einen umfassenderen Überblick über diese Schauspielbühne: »Deutsches Theater. Bericht über 10 Jahre«. Doch auch dieses Buch bringt – neben vielen, heute noch lesenswerten Einzelanalysen der Theaterarbeit aus den Jahren 1945 bis 1955 – nur einen Nachdruck des knappen Abrisses aus der Feder Herbert Jherings von 1953. Ansonsten werden vornehmlich die Produktionen aus der kurzen Intendanzperiode Gustav von Wangenheims und ein Teil der Wirkungszeit von Wolfgang Langhoff abgehandelt.
Bleibt festzustellen: Außer den vorgenannten Werken existiert in deutscher Sprache keine zusammenfassende Darstellung dieses weltberühmten Schauspieltheaters. Nachforschungen in fremdsprachigen Literaturen blieben ergebnislos; man findet nur die bereits erwähnten Titel vor. Die Frage aufwerfen, wieso dies der Fall ist, heißt auch schon, auf diese Frage Antwort geben: Bis zum Machtantritt des Nationalsozialismus im Jahre 1933 war für alle Welt der Begriff Deutsches Theater mit der Person Max Reinhardts verbunden. Und dies unbeschadet dessen, ob er selbst im eigenen Hause war oder ob ein Sommerspielzeit-Stellvertreter (und deren gab es etliche), ein Unterpächter oder gar für einige Jahre der treue Mitarbeiter Felix Hollaender auf dem Direktionssessel saß. Die Literatur über Max Reinhardt aber ist, um einen Theaterausdruck zu verwenden, »abendfüllend«. Das heißt, all das, was über den Schauspieler, Regisseur, Theaterdirektor und Privatmann Reinhardt in vielen Weltsprachen auf den Buchmarkt kam und immer noch kommt, ist enorm. Einzeldarstellungen über seine Schauspieler, Bühnenbildner, Musiker, Regisseure, Dramaturgen, über seine Gastspielreisen mit dem Ensemble des Deutschen Theaters gibt es in Hülle und Fülle. Nur wenigen. Männern des Theaters wurde je eine solche Publizität zuteil. Mit Erstaunen stellt man dann allerdings fest, daß diese Publikations-Opulenz bei Reinhardts großem Vorgänger Otto Brahm nicht anzutreffen ist.
Hier wird der Versuch unternommen, aus der Geschichte zweier Theatergebäude und von dem, was sich in ihnen abspielte, zu berichten. Der Stoff ist umfangreich, er umfaßt den Zeitraum von 1848 bis zum Jahre 1944. Das bedeutet im Klartext: die Epoche des Theaters bürgerlicher Prägung, ehe dann ab 1945 resp. 1949 auf unserem Boden ein qualitativ neues, auf sozialistischer Grundhaltung basierendes Theaterwesen sich entwickeln konnte. Festgehalten sei sofort: Bevor der Name Deutsches Theater in Erscheinung trat und bevor Adolph L'Arronge oder Otto Brahm (von Max Reinhardt ganz zu schweigen) als Männer der deutschen Theatergeschichte genannt wurden, hat man auf dem Grundstückskomplex in der Schumannstraße, wie wir ihn heute noch nahezu unverändert kennen, in Spielstätten unterschiedlicher Natur sowohl der Tragödie als auch der Komödie den fälligen Tribut gezollt. Gewiß, das Jahr 1983 bedeutet ein rundes Theaterjahrhundert; aber schon der Schweizer Kulturphilosoph und Kunsthistoriker Jacob Burckhardt verwies einst auf den Umstand, daß Dinge, die wir zuweilen als Primate betrachten, des öfteren bereits zweite, ja dritte Entwicklungsphasen darstellen. So auch in unserem Fall. Adolph L'Arronge zog in ein bereits vorhandenes Theatergebäude ein; sicher, er baute an und um, aber er hatte kein neues Haus zu errichten. Er übernahm das bereits vorhandene Friedrich-Wilhelmstädtische Theater. Über dieses für die Berliner Theatergeschichte so wichtige Unternehmen, dessen Bedeutung bereits Gottfried Keller in seiner ganzen Tiefe erkannte, muß, da das bisher nur ungenügend geschah, ausführlich gesprochen werden.
Der Autor zählt sich aufgrund seiner beruflichen Herkunft zu den Theaterpraktikern; er ist »des trocknen Tons nun satt«, in dem heutzutage Theatergeschichte mitunter dargeboten wird. Bei aller Faktenstimmigkeit, die als selbstverständlich vorauszusetzen ist – ein theaterwissenschaftliches Seminar wird nicht abgehalten, Wertungen und apodiktische Behauptungen sind, wo nicht unbedingt erforderlich, ausgespart. Das Theater – mitunter wird das vergessen – ist immer noch eine Sache der Poesie in vielfältiger Gestaltung. Ein Hauch von Poesie soll auch in diesem Buch zu spüren sein.
A. D

Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin

1. Auflage 1983
2. Auflage 1987

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