„Alt werden will jeder, alt sein niemand!“ Kein Wunder. Beschwerlichkeiten nehmen zu, die Spannkraft läßt nach. Ist das richtig? „Altsein ist ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt“, sagt Martin Buber, der selbst ein hohes Alter erreicht hat. „Bon courage!" heißt es bei Rilke. „... eines Tages alt sein und noch lange nicht alles verstehen, nein, aber anfangen, aber lieben, aber ahnen...“
Fanny Herklotz geht in diesem neuen Buch dem Vorurteil, es lohne sich nicht, alt zu werden, zu Leibe. Nicht so, als gäbe es keine Dunkelheit. Dunkelheit und Leid gehören zum Menschen wie Schatten zum Licht. Dieses Buch aber will – in Erzählungen und Betrachtungen, in Gedichten, Briefen, Aussprüchen und Gebeten – gleichsam die Fensterläden aufstoßen und den Blick aus Befangenheit und Resignation in die Weite und ins Helle lenken. Der weltberühmte Cellist Pablo Casals schreibt: Ich bin jetzt über dreiundneunzig Jahre alt, also nicht gerade jung, jedenfalls nicht mehr so jung, wie ich mit neunzig war. Aber Alter ist überhaupt etwas Relatives. Wenn man weiter arbeitet und empfänglich bleibt für die Schönheit der Welt, die uns umgibt, dann entdeckt man, daß Alter nicht notwendigerweise Altern bedeutet ... Ich empfinde heute viele Dinge intensiver als je zuvor, und das Leben fasziniert mich immer mehr.
Aufgeschlossenheit, Freude am Leben, Hinwendung zum Tätigsein, zu Menschen und die Fähigkeit, zu sehen, aufzunehmen und zu geben: all das spiegeln die Beiträge dieser Anthologie in den unterschiedlichsten Farben. Ein Buch also ebenso für die mittlere wie für die ältere Generation. Erst der letzte Teil dann wendet sich an den wirklich alten Menschen, und die Vorzeichen heißen auch hier Ermutigung und Zuversicht.
Wem vertrauen wir uns an, wenn wir das Buch in die Hand nehmen? Es ist nicht einfach, unter den Namen auszuwählen, die hier vertreten sind: Walter Bauer und Eva Strittmatter, Romano Guardini, Johannes Schöne und Manfred Hausmann, Joachim Dachsel und Albrecht Goes, Karl Hüllweck und A. O. Schwede, Marie Luise Kaschnitz und Hermann Hesse, Marianne Fleischhack und Carl Zuckmayer.
Lassen wir zum Schluß noch Karl Foerster zu Wort kommen, den Meister der Staudenkultur, der hochbetagt noch auf seinem Felde wirkte und nebenbei Bücher zu schreiben verstand: „Wir haben heute nur ein erstauntes Lächeln für jene pfeiferauchenden Lehnstuhlbewohner, die wehmütig der Vergangenheit nachsannen; denn in unseren Tagen haben Menschen viel höheren Alters verantwortungsvolle Stellen inne und bewältigen mit wachem Geist ihre großen Aufgaben.“
Vorwort
Geschenkte Jahre
Wir alle kennen Menschen, die besorgt die Frage stellen: Wie werden wir mit dem Alter fertig? Martin Buber schrieb den verheißungsvollen Satz: „Altwerden ist ein herrliches Ding. wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt." Wenn wir diese Worte ernst nehmen und ganz bewußt auf unser Leben einwirken lassen, kann es uns gelingen, die späteren, uns geschenkten Jahre mit Sinn zu erfüllen.
Berechtigt fragen wir deshalb: Was sind das für Anfänge, durch die wir die Jahre des Älterwerdens entscheidend beeinflussen können? Eine wesentliche Rolle spielen Interessen, Begabungen. Neigungen, Temperament, Begeisterungs- und Kommunikationsfähigkeit. Gerade die Kommunikationsfähigkeit, die Kraft und der Wille, sich anderen zuzuwenden – sich nicht in sich selbst zu verschließen –, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wie zutreffend ist daher der Satz: „Alles wahre Leben ist Begegnung.“ Sie ist ein besonderes Geschenk und ereignet sich immer wieder für den, der offene Augen und ein aufgeschlossenes Herz hat.
Auch die Hinwendung zum Buch führt zur Begegnung. Wer den Umgang mit der Literatur sucht und pflegt, begibt sich zu den Quellen, die ihn Vielfalt und Geheimnis des Lebens erkennen lassen. Das Buch ist für viele Menschen nicht nur lebenswichtig, sondern lebensnotwendig. Wer hätte hier nicht Dank zu sagen für die Wegweisung, für die Kräfte und Energien, die uns Literatur und gleicherweise alle Künste zu schenken vermögen.
Besondere Bedeutung kommt den künstlerischen und handwerklichen Tätigkeiten zu. Es gibt viele Beispiele, wie sich in späteren Jahren noch Begabungen verwirklichen konnten, die oft über den engeren Kreis hinaus Aufsehen erregten. Älterwerden heißt sehend werden, daß zu dieser Lebensphase das ganz persönliche JA erforderlich ist und durch unser Mittun die Aufgaben, die wir uns selbst geben, einen Zuwachs an geistiger und seelischer Fülle gewähren können.
Dieses Buch ist keineswegs nur für ältere Menschen gedacht. Das Älterwerden umschließt das ganze Leben. Wir sprechen vom Morgen, Mittag und Abend des Lebens. Die Dichter benutzen gern das Bild der Lebensstufen. Wenn der Mensch mitten im Leben steht, lebt er so intensiv der Gegenwart, daß er die Stufen nicht als Teile des Ganzen bedenkt und erkennt. Die Gegenwart ist der Brennpunkt, in dem Vergangenes und Künftiges kulminieren. Martin Buber sagt es so: „Wer auf jeder Stufe das ihr eigene Wesen erfüllt, erhebt sich über den Wandel, und wer auf jeder Stufe so lebt, daß er der folgenden gewachsen sei, wird des Lebens letzten Sinn erfüllen.“
Die Sinnfrage ist zugleich die Frage nach dem Woher und Wohin des Daseins. Sie ist für den Menschen, der nach Gott fragt, von existentieller Art. Im letzten Gedicht des Buches steht der Satz: „Ganz unten wartet Gott.“ Gott wartet nicht nur am Ende unserer Tage. Das Unerhörte, in Gottes Hand zu sein, ist ein unauslotbares Geschehen. Wir dürfen unser Leben über den Tod hinaus in einer unvergänglichen Existenz gehalten und geborgen wissen. Weil wir Gott so wert sind, trotz unserer Unfertigkeit, erfüllen uns Freude und Dankbarkeit. Viele biblische Verheißungen stehen über unserem Leben. Und damit verliert der Tod, der am Ende eines jeden Menschenweges steht, seine Schrecken. Er ist in das Leben einbezogen. Liebe, als Fundament des Lebens, trägt auch den Tod.
In zahlreichen Beiträgen möchte das Buch Denkanstöße geben und helfen, die geschenkten Jahre durch unsere Mitarbeit als reiche Jahre erleben zu können.
Fanny Herklotz
Inhalt
Vorwort ..... 5
Altwerden heißt sehend werden
Andreas Gryphius - Mein sind die Jahre nicht ..... 9
Jean Giono - Ein Charakter ..... 9
Johannes Schöne - Die Königskerze ..... 21
Eva Strittmatter - Die eine Rose ..... 25
Christa Meves - Ermutigung ..... 25
Romano Guardini - Vom Altwerden 26
Joachim Dachsel - Ich bin einer von vielen ..... 34
Walter Bauer - Eine Reise nach Rügen ..... 34
Jan Amos Comenius - Ich danke meinem Gott ..... 42
Altsein ist ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt
Eusebiu Camilar - Meine Mutter ..... 45
Margot Benary-Isbert - Kennen Sie Goldhamster? ..... 56
Anneliese Probst - Wunderbares Licht ..... 72
Eva Strittmatter - Leben ..... 79
Rainer Maria Rilke - Leben, Geduld haben, arbeiten ..... 79
Karl Foerster - Lebendiges Alter ..... 80
Pablo Casals - Ich bin jetzt über dreiundneunzig Jahre alt ..... 81
Jeanne Berta Semmig - Leben im Ruhestand ..... 83
Dorothea Matthes - Über die Freude ..... 84
Dorothea Matthes - Gaben der Zeit ..... 86
Aja Goethe - Es gibt doch viele Freuden ..... 86
Aja Goethe - Ich freue mich des Lebens ..... 86
Manfred Hausmann - Karl Heinrich Waggerl ..... 87
Joachim Dachsel - Die Wege des Geistes ..... 91
Albrecht Goes - Die Gnade der Begegnung ..... 92
Im Anfang liegt das Ende – im Ende der Beginn
Hans Donat - Wenn wir älter werden ..... 97
Marie Luise Kaschnitz - Jeder Schritt eine Qual ..... 98
Elise Averdieck - Was für eine kleine, krumme Frau! ..... 99
Juri Kasakom - Die Alte vom Meer ..... 103
Michelangelo - Gebet ..... 111
Thomas von Kempen - Suche dir oft eine passende Zeit ..... 112
Romano Guardini - Herr, habe Geduld mit mir ..... 112
Friedrich Christoph Oetinger - Gib mir die Gelassenheit ..... 113
Dietrich Mendt - Rede an einen Freund zum achtzigsten Geburtstag ..... 114
Wilhelm Raabe - Gelassenheit ..... 116
Karl Hüllweck - Nonnina ..... 117
Hermann Hesse - Über das Alter ..... 123
Liliane Giudice - Leid ..... 126
Alfred Otto Schwede - Karelische Legende ..... 128
Helmuth Wielepp - Mit dem Tode leben ..... 158
Wolfgang Amadeus Mozart - Brief an den Vater ..... 160
Paulus, 1. Kor. 13, 12 - Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ..... 161
Wilhelm Busch - Brief ..... 161
Gottfried Unterdörfer - Es ist ein Unterschied ..... 162
Gottfried Unterdörfer - Ein Blatt darin ..... 164
Carl Zuckmayer - Kleinste Strophe von der Unsterblichkeit ..... 165
Matthias Claudius - Trost und Freude kann niemand nehmen ..... 166
Marianne Fleischhack - Erfahrungen mit geschenkter Zeit ..... 166
Oskar Loy - Und immerzu geht Jahr und Tag ..... 171
Schutzumschlag und Einbandgestaltung von Hans-Jürgen Willuhn
Evangelische Verlagsanstalt Berlin
1. Auflage 1980
2. Auflage 1982
3. Auflage 1986
Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
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