21 Dezember 2023

Volker Braun: Hinze-Kunze-Roman

Klappentext:
– Hinze und Kunze – sie sind also ein Paar. Aber ein ungleiches.
– Ja, darauf legen sie Wert.
– Nach dem Sprichwort und dem Sozialismus sollten sie aber gleiche sein.
– Ja, nach – und nach.
– Sie machen uns nichts vor ...
– Das ist kein belletristischer Roman.
– Was hält sie aber zusammen?
– Ich beschreibe es: ich begreife es nicht –
– Sind sie Herr und Knecht?
– O nein, das wollen sie nicht sein. Das darf nicht sein ...
– Das ist das Neue, wie. Sie drängen sich in ihre Rollen, liebend gern.
– Das ist das Erotische an ihrem Verhält- nis.
– Willst du dich über sie lustig machen?
– Ich doch nicht... Die reiten durch die preußische Prärie. Sie halten sich am Stricke. Ich faß mit zu ... ich bin auch Herr und Knecht. – Ich wollte es lustig machen.
– In der leichtesten Weise unserer Existenz, der Kunst.
– Die leichteste? sie hat auch ihre Schwierigkeit, sie reitet eigne Wege. Sie folgt dem Leben nicht direkt; man muß um die Ecke lesen.
– Um die Ecken und Kanten, Hinze redet -
– Er redet was Redliches, ja ...
– Wer nimmt dir das ab?
– Bei dem Bemühen um exportfreundliche Produkte ... Aber ich bin nicht auf der Linie. Den Spaß kaufen nur Kommunisten ab.
– Apropos: was ist mit Kunze los? Sucht er seinen Spaß? Ist er ein Schwein? Oder ist er krank?
– Ja, was sucht er bei den Frauen? Es ist eine Sucht, eine Sehnsucht, eine Gier ... die der Dienst nicht stillt. Und doch ist es das beste Gefühl – oder für mich, als ich schrieb. Oder habe ich dieselbe Krankheit ... Was suche ich denn? Was ist los mit mir?
– Hier müssen wir...
– Ja was?
– Hier müssen wir abbrechen.
– Nein, müssen, was. Sprich weiter, ich bin im Text.

...  schöngeistige Lesehilfe von Dieter Schlenstedt:
An den Leiter des Kritiker-Aktivs im Schriftstellerverband der DDR

Es sollte uns im Aktiv, geschätzter Vorsitzender, der Roman von Volker Braun beschäftigen. Ich habe ihn schon lesen können und kann deshalb wissen, daß das Buch die Kritik vor ein paar Probleme stellen wird. Etwa vor die Überraschung seiner Traditionswahl. Gerade haben wir uns damit abgefunden, mit Bezügen zur Romantik konfrontiert zu werden, da kommt Braun mit seiner Wiederaufnahme der Aufklärung. Ist nun die Vergangenheit wirklich schon komplett zitierbar geworden – oder deuten sich hier etwa innerliterarische Auseinandersetzungen an? Die Feldschlacht, besser – weil es so offensichtlich kriegerisch nicht mehr zugeht in unserer Literatur : das Getümmel, von dem Braun auf dem 7. Schriftstellerkongreß berichtete, scheint anzuhalten. Nur findet es auf neuen Terrains statt. (Nebenbei: Wer kann erklären, weshalb bei anderen Autoren das 18. Jahrhundert plötzlich auch stofflich wichtig geworden ist, ich meine nicht das der Revolution? Das war doch früher niemals ein Bezugspunkt! Was sollen denn die Leute mit all diesen Gundlings und Bessers und Mendelssohns und den anderen Figuren aus den verschollenen absolutistischen Zeiten?). Aber das nur nebenbei. Ich (stelle gerade einen kleinen Anhang für das Buch zusammen und) ahne, daß dialogische Verständigung uns hier gut täte. Ärger könnte es zum Beispiel geben, weil Literaturkritiker wieder einmal (nicht so raumfüllend wie bei de Bruyn, aber doch so polemisch-direkt wie punktuell bei Strittmatter) zum Gegenstand einer Personalsatire gemacht werden, die weit entfernt davon ist, nur lustig zu sein. Das ist für die Gilde bestimmt kein Zuckerlecken, doch wird sie es schlucken müssen. Selbstverständlich ist das Bild verzerrt (wie viele Bilder des Romans). Wir Kritiker haben aber wohl den anderen Berufsgruppen, die sich vom Roman angerempelt fühlen könnten, mit gutem Beispiel voranzugehen in der Annahme des Satzes: Verzerrungen bei Satiren nicht dulden zu wollen, heißt, Satiren überhaupt nicht dulden zu wollen. Freilich wird dies nur akzeptabel sein, wenn die Kritik zu fortgesetzter Selbstkritik bereit ist – obwohl sie vielleicht rufen möchte: Haben denn die Schriftsteller immer noch nicht (ich lasse »immer noch« sagen, weil der Tadel seit dem 3. Schriftstellerkongreß von 1952 einfach nicht aufhören will), haben sie nicht bemerkt, welch große Anstrengungen gemacht worden sind, die Literaturkritik zu verbessern? Wir könnten vielleicht verstehen, weshalb uns Bissigkeit begegnet, wenn wir uns – das Gedächtnis ist lang! – aus der jüngeren Vergangenheit den Umgang der Kritik mit den Satiren oder überhaupt den Komödien in die Erinnerung riefen. Sie gerade waren es, die oft den Gegenstand der berühmten Literaturdiskussionen von ehedem bildeten (die manchem. Vergeßlichen heute schon wie ein Idealzustand literarischer Öffentlichkeit vorkommen). Und was löste meist die Debatten überhaupt erst aus? War es nicht allzuoft Ablehnendes, in dem ein Wissen über die Besonderheit der literarischen Verfahren und Wirkungsweisen des Komischen nicht mitsprach? Äußerte sich so nicht allzulange (um ein Wort von Hanns Eisler abzuwandeln) die Dummheit in der Kritik? (War es die der Kritik?) Und heute? Heute stehen wir vor dieser Art von Literatur zwar mit besserer Meinung, aber immer noch mit ziemlich leeren Händen. Ich vermute, niemals hat das Kunstdenken bei uns den großen Aufsatz von Lukács über die Satire zur Kenntnis genommen (wie der selbst im übrigen die schon 1930 angestellten Überlegungen vergessen mußte – sie hätten das danach eingesetzte ästhetische System gesprengt) und vor allem, was dort über die Möglichkeit der Satire gesagt worden war, nicht nur zur Kritik von Klassen gegen Klassen, sondern auch zur Selbstkritik von Klassen und Gesellschaften beizutragen. Und damit bin ich schon bei einem weiteren, was Brauns Buch zu erörtern einlädt: um Anregung zu Selbstkritik und nicht irgendwie um Kritik handelt es sich bei ihm. Wir alle kennen, was Marx in der Einleitung der »Grundrisse« über die Selbstkritik von Gesellschaften sagte – sie wird als eine besondere, nicht gleich zu habende Leistung bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungsstufen begriffen, die dann auch erst geschichtliche Erkenntnis erlaubt. Aber wenn wir diese Einsicht in der Literatur zu diskutieren haben, geraten wir, glaube ich, in Schwierigkeiten. Spätestens bei Strittmatters »Wundertäter III« oder bei Kants »Drittem Nagel« hätten wir uns neu über die Fähigkeit der Literatur verständigen sollen, auf eine Selbstkritik fördernde Weise im größeren Prozeß zu wirken, und natürlich auch über die dabei auftretenden wie nannte sie Anna Seghers einmal? – offenen Fragen. Daß die lautstarken Debatten von früher aufgehört haben, will mir nicht wie ein Verlust vorkommen – aber nur, wenn wir ein intensives gemeinsames Gespräch beginnen und nicht gegenüber den offenen Fragen in ein lautstarkes Schweigen verfallen. Der Zusammenhang zwischen dem neuen selbstkritischen Appell in unserer Literatur und der Neigung zu einer komödischen oder satirischen Prosa dürfte der Unterhaltung ein aktuelles Thema bieten – haben wir hier doch ein interessantes Zeugnis von jener literarischen Dynamik, die viele in der Gegenwart vermissen. Oder kann es uns gleichgültig sein, was die Genannten da tun – oder auch, in einigen ihrer Arbeiten (ich nenne keine Titel, die leicht hinzuzudenken sind, und füge ohne großes Besinnen und ohne zu werten nur einige Namen aneinander), die Wolf und Fühmann, Morgner und Köhler, Stade, Walther, Wolter, Klotsch und Königsdorf? Aber weshalb erzähle ich das einem, lieber Vorsitzender, der wie andere auch, das Verständnis für diese so frag-würdige literarische Anlage bereits zu wecken versucht hat? Wir sollten darin fortfahren! Mit diesem Vorschlag,
Dieter Schlenstedt

Schutzumschlag: Günter Jacobi

Mitteldeutscher Verlag, Halle-Leipzig

1. Auflage 1985
2. Auflage 1988

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