16 Februar 2024

Johannes Urzidil: Die Rippe der Großmutter – Erzählungen

Klappentext:
„Jede Nacht, bevor ich zum Schlaf gelange, treten alle meine Mängel auf mich zu, umringen mich und drohen mir. Schließlich schlafe ich dann trotzdem ein, denn ich lebe paradoxerweise trotz meinen Werken.“ Nicht, daß wir einen Schriftsteller vorzugsweise zu lesen hätten, wenn ihm seine Mängel selbst bewußt sind. Selbstkritik aber, eines hochgeehrten Autors noch dazu, ist eine Haltung, die auch die Werke prägen wird. Urzidils beste Erzählungen leben von dieser Fähigkeit des Autors, sich selbst nicht als Nabel der Welt zu sehen, sondern wie ein Kristall sein zu wollen, durch den Licht farbig aufgefächert wird. Menschen und Dingen zur Sprache zu verhelfen, sie zu Wort kommen zu lassen, ohne ihnen fremde Worte aufzudrängen, dies war der Schaffensantrieb Johannes Urzidils, der am 3. Februar 1896 in Prag geboren wurde und dort seine literarische Jugend mit Werfel und Kisch und Kafka und manchem anderen Hochberühmten verbrachte. Seine eigene künstlerische Reife kam erst viele Jahre später, es war die Reife des welterfahrenen Mannes mehr als die einer elementaren dichterischen Begabung. Als Sechzigjähriger in New York, wo er 1941 als Emigrant gelandet war, veröffentlichte Urzidil seinen ersten wirklich bedeutsamen Erzählungsband.
Altersdichtungen? Wenn damit präzise Erinnerungen, klare Sprache und sicheres Erzählen gemeint sind, dann wird man diesen Begriff gebrauchen dürfen. Setzt euch nieder, scheint Urzidil bei jeder Geschichte zu sagen, ich will euch etwas erzählen. Und wer hörte nicht zu, wenn das alte Prag Gestalt gewinnt mit seinen einfachen Leuten, mit seinen Kindern vor allem? Überhaupt die Kinder: wer ließe sich nicht gern von ihren „Spielen und Tränen“ betören, sei es in Prag, New York oder in Gibacht, das niemand kennt, bevor er es nicht durch Urzidil kennengelernt hat? Auch einem Elefantenritt kann man folgen. Durch das eben aus dem Mittelalter erwachende Deutschland. Man sieht die Gaffenden und die zu Tode Erschrockenen. Man leidet und hofft mit dem hoch zu Elefant fliehenden jungen Mann, dem nachmals weltberühmten tschechischen Kupferstecher Vaclav Hollar.
Urzidil bewegt nicht die gewaltigen Stoffe unseres Jahrhunderts, und wenn er sich ihnen nähert, wie im „Gold von Caramablu“ dem Spanischen Bürgerkrieg, dann zeigt er, wie eine kleine, abgeschlossene Welt in die große hineingerissen wird. Urzidil spricht von den Alltäglichkeiten dieser Zeit, und er spricht leise von ihnen. Man muß seinen sorgsam gesetzten Tönen aufmerksam folgen, wegnehmen darf man nichts, hinzusetzen alles. Das aber kann jeder, weil jeder Kindheit und Alltäglichkeit erlebt hat.
Johannes Urzidil, der hundert Jahre alt werden wollte, um den Glückwünschen, die ihn zu seinem 70. Geburtstag erreichten, „gebührend gerecht“ zu werden, starb am 2. November 1970 in Rom. Huldigungen brauchen wir ihm nicht darzubringen, seine Mängel müssen wir nicht hinausposaunen – die kannte er selbst –, für beides war er wohl nicht spektakulär genug. Jeder aber kann sich davon. überzeugen, daß Urzidil durch seine besten Erzählungen lebt, weil er sich auf das, was er wirklich erlebt, gesehen und ergriffen hat, zu beschränken wußte.

Inhalt:
Das Elefantenblatt 5
Die Herzogin von Albanera 43
Relief der Stadt 79
Spiele und Tränen 98
Denkwürdigkeiten von Gibacht 120
Von Odkolek zu Odradek 166
Die letzte Tombola 189
Repetent Bäumel 219
Morgenroths Erbe 240
Die Rippe der Großmutter 259
Eine Schreckensnacht 296
Ein letzter Dienst 316
Letztes Läuten 341
Das Gold von Caramablu 380
Die große Finsternis in New York 457
Im Aufzug 481
Die arme Pamela 504
Die Reisen Siegelmanns 532
Anekdote aus dem Zweiten Punischen Kriege 556
Nachwort 567
Quellennachweis 590

Schutzumschlag, Einbandentwurf: Horst Hussel
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Dietrich Simon

Verlag Volk und Welt, Berlin
1. Auflage 1976

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wichtiger Hinweis

Seit dem 25. Mai 2018 gilt auch in Deutschland die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Mit der Abgabe eines Kommentars erklärt Ihr euch einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) eventuell abgespeichert und für Statistiken von Google weiterverarbeitet werden.

Beim Absenden eines Kommentars für weitere Benachrichtigungen auf Folgekommentare erklärt ihr euch ebenfalls einverstanden, dass personenbezogene Daten (z.B. IP-Adresse, Standort des Logins etc.) abgespeichert werden.