17 Mai 2024

Johannes Wütschke: Wörlitzer Park - Luisium bei Dessau - Oranienbaum

Einführung
Wörlitz, das Gartenkleinod in der mitteldeutschen Niederungslandschaft der Elbe, wurde zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als fürstlicher Sommersitz unweit von Dessau angelegt.
Heute ist es eine oft und gern aufgesuchte Erholungs- und Bildungsstätte unserer Werktätigen, die nicht nur aus der näheren Umgebung, sondern auch von weit her in diesen Park kommen, in dem sich Natur und Kunst in einzigartiger Weise zu einer künstlerischen Einheit verbinden.
Der Name Wörlitz hat in der deutschen Kunst-, aber auch in der Geistesgeschichte einen weithin vernehmbaren Klang. Die Anlage wurde vor fast zweihundert Jahren geschaffen, als noch der Feudalismus in unserem Vaterland herrschte, zugleich aber auch die Aufklärung von Frankreich – wo sie die bürgerliche Revolution von 1789 vorbereiten half – und von England her eindrang, sich rasch ausbreitete und auf alle Lebensbezirke, auch auf die Kunst, in bedeutendem Maße einwirkte. Als „Aufklärung“ bezeichnet man den großen – in sich uneinheitlichen – Komplex der Ideologie des aufstrebenden Bürgertums, das gegen die noch bis tief in das 18. Jahrhundert hinein herrschenden mittelalterlichen Vorstellungen aufklärend wirken wollte im Sinne eines besseren und tieferen Verständnisses der Welt, der Gesellschaft, des menschlichen Individuums. Der alte, schon im Zeitalter der Renaissance erschütterte Glaubensgrundsatz „Credo, quia absurdum est“ („Ich glaube, wenngleich es vernunftwidrig ist“) wurde von dem unaufhaltsam sich bahnbrechenden Erkenntnisstreben verdrängt. Die Vernunft (lat.: ratio) wurde von einer Anzahl von Aufklärern zur Herrscherin ausgerufen: Der sogenannte Rationalismus war ein wesentlicher Bestandteil der Aufklärung. Wie man einerseits die Gesetzmäßigkeit der Natur mit Hilfe der Vernunft zu erfassen sich bemühte, so stellte man andererseits auch vernunftsgemäße Gesetzmäßigkeiten für die Kunst auf: Klarheit der Gliederung und rational beweisbare Schönheit galten als höchste Eigenschaften eines Kunstwerkes. Das war eine der Grundvoraussetzungen für das Vorherrschen des klassizistischen Stils.
Die bürgerliche Aufklärung hatte aber noch andere Bestandteile. Als Protest gegen die überfeinerte höfische Luxuskultur, gegen die amoralische Lebensführung des Feudaladels wurde der Satz „Zurück zur Natur“ zum Schlagwort der Zeit. Man wollte naturgemäß, naturverbunden leben. Diese von dem französischen Aufklärungsphilosophen Jean-Jacques Rousseau ausgesprochene Forderung floß zusammen mit der Strömung der bürgerlichen Empfindsamkeit. Wollten die Rationalisten mit Hilfe der Vernunft in die Natur eindringen, so strebten die Vertreter der Empfindsamkeit danach, mit den Kräften des Gemüts sich der Natur einzufügen, wodurch sie eine dauerhafte Neubelebung der verfallenden Sitten erhofften.
Wiewohl die Aufklärung im Bürgertum ihren Ursprung hatte, blieb sie nicht auf diese Kreise beschränkt. Kennzeichnend für die Verfallszeit des Feudalabsolutismus ist der Typ der „aufgeklärten“ Fürsten, die gewisse Reformen einleiteten, im beschränkten Rahmen mit staatlichen Mitteln Manufakturen und Industriebetriebe einrichteten und Maßnahmen zur Intensivierung des Handels durchführen ließen. Sie waren also durchaus bemüht, manche Forderungen des Bürgertums zu verwirklichen, handelten dabei aber selbstverständlich nicht im bürgerlichen, sondern im eigenen Interesse, indem sie ihrem Staatsapparat durch neue Methoden notwendige Finanzmittel zuzuführen hofften, die von der überlebten Feudalwirtschaft seit langem schon nicht mehr aufgebracht werden konnten. In die Höfe der „aufgeklärten“ Fürsten fand also die bürgerliche Aufklärung freilich in besonders gewandelter Form in vollem Umfange Einlaß, und Klassizismus und Empfindsamkeit haben dadurch in vielen Schloß- und Parkanlagen dieser Zeit ihren künstlerischen Ausdruck gefunden.
Auch Wörlitz ist ein Zeugnis künstlerischer Gestaltung der neuen Geisteshaltung jener zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der Namen wie Rousseau, Forster (Vater und Sohn) und Lavater, Winckelmann und Erdmannsdorff, Goethe und Matthisson glänzen und aufs engste mit Wörlitz verbunden sind.
Mögen die Tausende werktätiger Menschen, die alljährlich hierher pilgern, um die Eigenart des Gartens und seiner Kunstschätze auf sich wirken zu lassen, nicht nur genießen und Freude empfinden, sondern auch noch heute etwas von dem Geist spüren, aus dem heraus damals das Werk geschaffen worden ist. Sie werden das um so eher können, je klarer sie erkennen, daß auch wir wiederum Kinder einer großen Zeitwende sind, in der manches Alte und Überlieferte versinkt, ohne daß wir doch das wertvolle Kulturerbe der Vergangenheit mißachten oder gar vergessen dürfen. Wir sind im Gegenteil berufen, neue Werte aus jenem Kulturwerk zu schöpfen, es uns zu eigen zu machen und in die Zukunft weiterzutragen. Wir sind um so mehr dazu verpflichtet, als seit 1945 Garten und Schloß als Staatliches Museum in die Hand des Volkes übergegangen sind.

Inhalt:
Einführung ...... 5
Geschichte und geistesgeschichtliche Grundlage der Zeit ...... 8
Wanderung durch den Park ...... 12
Das Schloß und seine Umgebung ...... 28
Kurzer Rundgang durch den Park für eilige Besucher ...... 31
Gondelfahrten ...... 31
Park und Schloß Luisium ...... 33
Oranienbaum ...... 36

Die Titelvignette zeichnete Adelhelm Dietzel, Dresden,
die Federzeichnungen Herbert Clausnitzer, Halle,
die Kartenskizzen Arthur Hieronymus, Leipzig.


VEB Bibliographisches Institut Leipzig
Reihe:
Unser kleines Wanderheft 56
1. Auflage 1956
2. neubearb. u. erw. Auflage 1957
3. Auflage 1958
4. Auflage 1959
5. verb. Auflage 1960
6. verb. Auflage 1962
7. Auflage 1963 | VEB Brockhaus
8. Auflage 1965 | VEB Brockhaus

 

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