12 September 2024

Linda Teßmer: Das Alibi bin ich

Heftanfang:
„Brandstiftung?“ Peter Kürten starrt den Kriminalisten an, zu bestürzt, um weitere Worte zu finden. Seine Frau und der Sohn stehen dabei, ebenso betroffen und fassungslos.
„Eindeutig.“ Leutnant Koch nickt. „Beweis ist der Benzinkanister.“
„Aber wer?" Kürten kann sich nicht vorstellen, wer das getan haben könnte.
„Das Feuer muß in der Gaststube ausgebrochen sein. Gegen zweiundzwanzig Uhr.“ Koch wirft ihm einen teilnahmsvollen Blick zu. Der Gastwirt, sehr attraktiv mit lebhaften Augen und braunem Backenbart, besitzt eine große Ausstrahlung. Er sprüht vor Aktivität, geistig wie auch physisch. Er ist ein Mann, der sich durchsetzt.
Die Frau schüttelt ratlos den Kopf. Sie hat dunkle Schatten unter den Augen, Zeugen einer schlaflosen Nacht. „Ich begreife das alles nicht. Wer tut denn so was?“
Das fragt sich Koch auch. Es gibt einige Gründe dafür. Er erwägt einen davon. „Vielleicht ein Racheakt?“
Kürten zuckt die Achseln. „Jetzt, wo die Saison beginnt...“
Niedergeschlagen sucht er an der Hausbar Stärkung. Seine Hände flattern über Flaschen, bis er den Kognak findet.
Das großräumige Wohnzimmer macht einen imposanten Eindruck: Ledermöbel vor dem Kamin, wertvolles Prozellan darauf. Die Wirtschaft muß lukrativ gewesen sein, denkt Koch. „Das schöne Geschäft mit den Touristen vorbei.“ Auch Christian, der Sohn des Hauses, der in hautengen Jeans an der Tür lehnt, scheint nicht zu begreifen, daß das Gasthaus, das Lebenswerk seiner Eltern, nicht mehr existieren soll.
„Eine Vermutung, wer Ihrem Vater das Geschäft verderben wollte?“ Koch sieht den Jungen forschend an. „Nein.“ Christian schüttelt den Kopf.
„Ihre Gaststätte hatte gestern Ruhetag, Herr Kürten?“ Der Leutnant wendet sich wieder dem Hausherrn zu, der nickt, und Koch fährt fort. „Wo waren Sie gegen zweiundzwanzig Uhr?“ Kürten setzt irritiert das Glas ab. „Ich verstehe Ihre Frage nicht.“
„Nur Routine.“ Koch lächelt beschwichtigend.
„Sie wollen ein Alibi?“ Ellen Kürten ist so hilflos, daß jeden Augenblick Tränen auszubrechen drohen. Christian, der das erste Stadium des Schocks überwunden hat, kann der Mutter helfen. „Das Alibi bin ich.“
„Sie, Christian?“
„Wir haben ferngesehen. Meine Eltern und ich. Hier.“
Die nicken bestätigend.
„Sie waren den ganzen Abend zusammen?“
„Bis wir den Feuerschein sahen. Da sind wir gleich hin“, erklärt Christian.
Kurzes Schweigen. Koch sieht durch das Fenster auf das blaue, ruhige Wasser des Kellersees, auf dem ein Frachtdampfer eine schmutziggraue Rauchfahne dahinschleppt. „Herr Kürten, haben Sie Feinde?“
Da Kürten mit der Antwort zögert, meint Christian: „Wer sollte meinen Vater hassen? Ohne ihn wär's doch im Ort nicht so schnell aufwärtsgegangen.“
„Muß es denn uns persönlich gegolten haben?“ sagt Frau Kürten mit zitternder Stimme. Sie spielt darauf an, daß es in der Gegend mehrmals gebrannt hat. In den letzten Monaten dreimal. „Ich habe immer Wert darauf gelegt, daß meine Gäste zufriedengestellt werden.“ Der Kognak hilft. Kürten ist gefaßter. Er greift erneut zur Flasche. „Vielleicht war einer der Gäste doch nicht zufrieden“, gibt Koch zu bedenken.
„Aber deswegen gleich ... Soll das ein Witz sein?“
„Sie sind natürlich ausreichend versichert?“
„Und die ideellen Verluste?“ Kürten schnauft. „Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, um aus dem, ‚seeschlösschen’ das zu machen, was es ist war...“
„Wir“, korrigiert die Frau, „wir haben zwanzig Jahre gebraucht.“ „Entschuldige. Natürlich wir.“ Leicht gereizt nimmt er es hin.
„Als ob das jetzt noch wichtig ist.“ Koch horcht auf.
„Alles verkohlt. Vorbei. Und meine Stammgäste amüsieren sich woanders.“ Der vierte Kognak fegt Kürtens bedrückte Stimmung weg. Er macht jetzt den Eindruck eines Mannes, der den Schaden verkraften wird.
Koch hat solchen Stimmungswechsel oft erlebt. „Ist das alles, woran Sie jetzt denken können?“
„Und woran denken Sie, Leutnant Koch? Sie ermitteln doch schon in drei anderen Fällen ohne Erfolg. Beziehungsweise, als Sie den Täter endlich hatten, konnten Sie ihn nicht verhaften. Er war...“
„Das wär's dann“, sagt Koch lächelnd, aber bestimmt. Kürten begleitet ihn hinaus. Ellen starrt noch auf die Tür, als draußen der Wagen anläuft, während Christian die Abfahrt des Kriminalisten vom Fenster aus beobachtet.

Umschlagentwurf: Günther Lück

Verlag Das Neue Berlin, Berlin
Reihe: Blaulicht, Heft 200
1. Auflage 1980 
 

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