11 September 2024

Theo Harych: Bärbels und Lothars schönster Tag

Vorwort:
Liebe Jungen und Mädchen!
Anläßlich des Internationalen Kindertages am 1. Juni 1952 überreicht Euch der Bundesvorstand des FDGB dieses Kinderbuch als Geschenk. Dieses Buch soll in Euch viele schöne Erlebnisse und fröhliche Stunden aus dem Pionier- oder Betriebsferienlager wachrufen. Beim Lesen werdet Ihr Euch vorstellen, wie schön es in diesem Jahr in den Ferienlagern wird.
Gemeinsam mit den Jungen und Mädchen eines Ferienlagers, das die Werktätigen eines Betriebes für ihre Kinder aufgebaut haben, verlebte der Schriftsteller Theo Harych vier Wochen, von denen er in diesem Buch berichtet.
Wir danken allen Werktätigen, die durch ihre fleißige Arbeit Euch so frohe Ferientage ermöglichten und danken besonders der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, deren ganze Sorge den Kindern gilt und die Euch mit der 3. Anordnung zur Durchführung des Jugendgesetzes schöne Ferientage schenkte.
Ebenso wie die Kinder in der Sowjetunion und in den Volksdemokratien verlebt Ihr in der Deutschen Demokratischen Republik glückliche Ferientage, könnt lernen und fröhlich sein. Im Westen unserer Heimat kommt das von den Werktätigen erarbeitete Geld nicht den Kindern zugute, sondern wird für Kriegsvorbereitungen verwandt.
Die Organisation der Werktätigen, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, unterstützt sehr stark dieses Gesetz unserer Regierung, das dem Wohle der Kinder dient.
Wir wissen, daß Ihr die Facharbeiter, Wissenschaftler und Künstler, die Aktivisten und Helden der Arbeit von morgen seid. Wir werden Euch auch weiterhin helfen, auf allen Gebieten Eure Fähigkeiten zu entfalten.
Dieses Buch soll Euch Ansporn sein, in der Schule noch besser zu lernen und mit den Jungen Pionieren an einem fröhlichen Jugendleben teilzunehmen. Denn durch Euer gutes Lernen helft Ihr mit, daß bald alle Kinder der Welt in eine frohe Zukunft blicken können.
Wir wünschen Euch viel Freude beim Lesen dieses Buches und einen recht schönen Ferienaufenthalt.

Bundesvorstand
des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes


Buchanfang:
Zwei kleine Holzsammler
Der achtjährige Junge tauchte zuerst zwischen den dichten Bäumen auf. Pustend und stöhnend zog er einen Handwagen, der schon zur Hälfte mit trockenem Holz beladen war. Hinten schob tiefgebückt ein etwas jüngeres Mädchen. Ihre blonden Haare kräuselten sich über der Stirn, und zwei lange Zöpfe pendelten über der Brust hin und her. Plötzlich gab sie dem Wagen einen Stoß und blieb stehen. „Ich kann nicht mehr, Dieter“, rief sie und blies die erhitzten Wangen auf. „Nun mach doch schon, Bärbel! Wir sind ja gleich auf der Straße. Dann geht's bestimmt viel leichter“, rief Dieter. Aber Bärbel warf die lästigen Zöpfe trotzig nach hinten und schüttelte den Kopf. „Nein, ich will mich erst ausruhen.“
„Dann zieh' ich allein weiter!“
„Schaffst es doch nicht, bist ja viel zu schlapp, du Angeber.“ So neckte ihn Bärbel. Dieter zog den Rock aus, warf ihn auf den Wagen und zeigte ihr seine runden Arme. „Haa, raufsetzen kannst du dich, dann schaff' ich's immer noch“, prahlte Dieter.
„Au fein“, rief Bärbel lachend und kletterte flink auf den Wagen. Dieter spuckte nach Männerart in die Hände und zog an. Aber bald keuchte er, und auf der steilen Auffahrt zur Straße blieb der Wagen sogar ganz stehen.
„Kannst wohl nicht mehr?“ fragte Bärbel spottend und verzog geringschätzig den Mund.
„Sei still, du“, herrschte Dieter sie böse an.
„Soll ich dir etwa helfen?“
„Bleib doch sitzen, ich brauche deine Hilfe nicht.“ Dieter wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn, holte tief Atem und zog an. Doch nach drei Schritt war es wieder aus.
Auf der Straße stand ein blasser Junge zwischen Bündeln und Taschen neben seinen Eltern. Die Frau nickte müde und ließ sich erschöpft in das Gras am Straßenrand niederfallen. Der Mann warf den schweren Rucksack von den Schultern und sagte: „Komm, Lothar, setz dich drauf, denn die Erde ist noch kalt, und dein Husten darf nicht schlimmer werden.“ Lothar benetzte mit der Zunge die aufgesprungenen Lippen. „Hast du noch etwas Brot im Bündel?“ fragte der Mann. Als die Frau nicht gleich antwortete, fügte er hinzu: „Nicht für mich, aber Lothar müßte sich ein bißchen stärken. Der Junge geht uns noch zugrunde, wenn das so weitergeht.“
Die Mutter kramte in ihrem Bündel und reichte schließlich dem Knaben eine Bierflasche: „Da, mein Kind, etwas Kaffee habe ich noch drin. Stärke dich ein bissel. Im nächsten Dorf werden wir vielleicht etwas zu essen bekommen“, tröstete sie. Lothar setzte die Flasche an die Lippen. Aber er trank nicht, sondern blickte mit großen Augen zu Bärbel und Dieter hin. Plötzlich streckte er den Arm aus: „Da, Mutter, hörst du, da spielen Kinder!“
Lothar freute sich über den lustigen Streit der beiden. Am meisten interessierte er sich aber für das Mädchen; denn er sah es unentwegt an. Jetzt sprang er auf. Schwarze Kreise tanzten vor seinen Augen. Aber er überwand die Schwäche und lief zum Wagen.
Bärbel wollte gerade absteigen, um Dieter zu helfen. Lothar sagte hilfsbereit: „Bleib sitzen, ich mach' das schon.“ Bärbel blickte den blassen Knaben mitleidig an. „Du?“
„Ja“, redete Lothar, „ich bin gar nicht so schwach, wie du glaubst!“ Bärbel schüttelte den Kopf: „Nein, aber bestimmt bist du krank.“ Dieter hatte die Deichsel losgelassen und kam, sich in den Hüften wiegend, angestampft: „Setz dich auch mit rauf, ich ziehe euch beide“, prahlte er wieder. Bärbel sprang vom Wagen herunter und sagte ärgerlich: „Du Angeber!“ Dann wandte sie sich an den Jungen, gab ihm die Hand und fragte: „Wie heißt du?“ „Lothar Wilde.“
„Und wo wohnst du?“ Lothar deutete zu seinen Eltern hinüber. „Ach, ihr seid Flüchtlinge?“ Lothar nickte. „Wo wollt ihr denn hin?“ Lothar hob die Schultern und sagte traurig: „Das wissen wir ja nicht.“
„Aber ihr könnt doch nicht immer draußen leben, ihr müßt doch wieder eine Wohnung haben“, meinte Bärbel.
„Ja“, erwiderte Lothar, wenn mein Vati wieder Arbeit hat, dann bekommen wir auch eine schöne Wohnung. Und Möbel kaufen wir uns dann auch, hat meine Mutti gesagt. Ja, und in die Schule will ich dann auch wieder gehen.“ Bärbel gab ihm die Hand: „Ich heiße Bärbel Fröhlich."
„Was hat denn dein Vater gearbeitet?“ mischte sich Dieter ein.
„Er war Baggerführer“, sagte Lothar.
„Genau wie mein Papa“, rief Bärbel überrascht.
Vater Wilde hatte die Unterhaltung kaum beachtet. Jetzt hörte er aber aufmerksam hin. “Wo wohnst du?“ fragte Lothar. Bärbel zeigte in den Wald hinein: “Dort .....“

Schutzumschlag, Einband und Illustrationen: Hilde Köppen, Berlin

Verlag Neues Leben, Berlin
1. Auflage 1952  

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