03 Oktober 2024

Helmuth M. Böttcher: Der Affe Waldemar – Eine heitere Geschichte

Buchanfang:
Es ist nicht hübsch, gleich mit höchstpersönlichen Angelegenheiten anzufangen und von Dingen und Tatsachen zu berichten, die andere Leute – vorsichtigere Leute, besser erzogene Leute – ihr Leben lang schön für sich behalten. Aber Milla hat nichts dagegen. Außerdem gehört es zur Geschichte. Und darum sei es also bekannt: Wir haben uns durch ein Zeitungsinserat kennengelernt. Wem das nicht paßt, der braucht nicht weiterzulesen. Er schützt sich auf diese Weise am sichersten davor, noch mehr Ungehörigkeiten zu erfahren.
So kam es also: Ich bin Landarzt, und Sie wissen, Frauenbekanntschaften hat man da genug. Übergenug! Aber soll man eine seiner Patientinnen heiraten? Folglich blieb mir gar keine andere Wahl. Und Milla ist Gemeindeschwester. Wissen Sie, was das bedeutet, Gemeindeschwester ausgerechnet in der üppigsten Weingegend am Rhein zu sein – genau zwischen dem goldenen Johannisberger, dem Teufelskädricher und dem Scharlachberger? Gehen Sie einmal hin, schauen Sie sich die Jungens an – nicht bloß einmal, sondern siebenmal oder siebzigmal und überdies als Gemeindeschwester – und dann sagen Sie mir, für wen Sie sich entschlossen haben:
So also ging es Milla, und so ging es mir. Und wir entschlossen uns zu dem zwar längst nicht mehr ungewöhnlichen, immer aber noch „gesellschaftlich unmöglichen“ Wege des Kennenlernens für 7,30 DM und 9,80 DM. Der höhere Preis wurde von Milla aufgewandt. Denn Frauen pflegen in solchen Fällen mehr zu sagen als Männer. Außerdem ist es auch nur gerecht; denn in Zukunft muß der Mann ja doch alles bezahlen. Und wenn's eine richtig anpackt, kommen die erhöhten Unkosten noch immer wieder heraus. So oder so!
Bei Milla jedenfalls hat sich's gemacht. Sie hat mich bekommen. Ob so ein Erfolg indes wirklich lohnt, ist eine andere Frage, die ich nicht entscheiden möchte, zumal jeder mich mit Recht wegen Befangenheit ablehnen könnte. Das nähere darüber steht in der Zivilprozeß- oder Strafprozeßordnung an der Stelle, wo vom Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters, Schöffen oder Gerichtsschreibers die Rede ist. Es gehört also nicht hierher.
Hierher gehört, daß Milla ein entzückendes Mädel ist. Da auch sie mich vorläufig noch ertragbar findet, so scheint das Experiment geglückt und nacheiferungswert. Ich jedenfalls habe mir fest vorgenommen, in Zukunft meine Frauen nur noch durch Zeitungsanzeigen zu suchen. Es gibt übrigens bei allen anständigen Blättern einen Wiederholungsrabatt, den man vorsorglicherweise am besten gleich bei dem ersten Inserat vereinbart. Man geht dabei selber kein Risiko ein. Nur die Zeitung ist verpflichtet. Selbst kann man noch immer heiraten, wen man will.
Das hat Milla mir gleich noch am ersten Nachmittag unserer Bekanntschaft eingestanden. Ich war zu taktvoll, ihr mit der gleichen Münze heimzuzahlen. Männer sind sowieso taktvoller als Frauen. Auch feiger! Aber gemerkt hab' ich es mir. Und vorgemerkt! Und über kurz oder lang ... ich will's nicht gerade hoffen, doch der Himmel wird schon helfen. So oder so!
Nun wird es eigentlich Zeit, mit der eigentlichen Geschichte zu beginnen. Weder Milla noch ich sind darin die Hauptpersonen, sondern ... Nun Sie werden schon sehen.
Um gleich einen kleinen Schwindel aufzudecken: ich habe mit den Sachen, die hier erzählt werden sollen, persönlich nichts zu tun. Richtiger gesagt: ich hatte von Anfang an nicht die geringste Absicht, mich in diese Dinge zu mischen, von denen ich mit gutem Recht annehmen durfte, daß sie mich nichts angehen könnten. Denn die kleine Liebesgeschichte mit Milla – das ist die scheußlichste Abkürzung des unverkürzt auch nicht hübscheren Namens Ludmilla – bandelte sich damals gerade an, und ich wußte noch nicht einmal, daß mein mutmaßlicher Schwiegeronkel Werckenthin heißen werde, Werckenthin wie ... Aber berichten wir der Reihe nach!
Daß sich die Geschehnisse dann schließlich überhaupt anreihten, daran trug niemand anderes die Schuld als der alte Oberkellner in der „Krone“ von Aßmannshausen und meine eigene Talentlosigkeit, mit der Gegenwart in einem Zeitpunkt fertig zu werden, wo sie noch Zukunft ist. Ich hätte mir zum Beispiel bloß mein Horoskop stellen zu lassen brauchen. „Seien Sie vorsichtig mit Bekanntschaften am frühen Morgen!“ Oder ich hätte an jenem Maimorgen im „Alten Haus“ frühstücken sollen, wie ich's eigentlich vorgehabt hatte. Auch eine Segelfahrt zum Loreleifelsen hätte alles anders fügen können. Leider fiel mir das alles zu spät ein.

Buchausstattung: Hans Jordan

Greifenverlag zu Rudolstadt
1. Auflage 1954 

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