27 Januar 2025

Anna Maria Jokl: Die wirklichen Wunder des Basilius Knox – Ein Roman für Kinder von 10 - 70 Jahren

Buchanfang:
Ein Mann ist verschwunden
Eines Tages hing am Gemeindehaus folgender Anschlag:

Ein Mann ist verschwunden!
Seit einigen Tagen wird ein gewisser Basilius Knox vermißt. Basilius Knox,
der erst vor kurzer Zelt vom Lande in unsere Stadt gezogen ist, war bei den
Leuten der Umgebung als Sonderling bekannt. Er ging allen Menschen aus
dem Wege. Nach Aussage seiner Bedienerin Kathrin beschäftigte er sich zu
welchem Zweck, ist unbekannt mit verschiedenen Rädchen, Drähten und
Kugeln, die er miteinander zu verbinden. suchte. Die Bedienerin Kathrin
sagte noch aus, daß sie nichts Näheres über Basilius Knox wüßte, nur daß
er in letzter Zeit Geld geerbt und auf alle Menschen geschimpft habe.
Basilius Knox ist von kleiner Gestalt, dick.
Wer hat Basilius Knox in letzter Zeit gesehen?
Wer weiß, wo er sich befindet?

Dann verging viel Zeit.
Noch einmal stand am Schwarzen Brett des Gemeindehauses hinter vielen wichtigen Nachrichten der Satz: „Basilius Knox bleibt verschwunden!“
Aber die Leute lasen diese Notiz ebensowenig wie jene, die einige Monate nachher angeschlagen wurde, in der es hieß : „Basilius Knox scheint in eine andere Stadt übersiedelt zu sein.“ Denn man hatte Wichtigeres zu tun. Auch die alte Bedienerin Kathrin scheuerte längst bei anderen Leuten. Und so dachte bald niemand mehr an den kleinen dicken Basilius Knox.

Was ist das für ein komischer Hund?
Es war eigentlich ein ganz gewöhnliches Haus. Zwar keins aus Beton und auch keine fünf Stock hoch, aber ein ebenso gewöhnliches wie alle anderen Gebäude in dieser kleinen Stadt. Es hatte nur ein Stockwerk und sah ziemlich schäbig aus. Vielleicht war es früher einmal sauber und schön gewesen. Aber mit der Zeit geht durch Regen und Wind der Anstrich herunter, die Mauer bröckelt ab, es kommen Ritzen und Sprünge hinein. Die Fenster des kleinen Hauses waren von innen mit dicken Vorhängen verdeckt. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen, denn die Scheiben waren vor Schmutz und Alter ohnehin ganz undurchsichtig.
In der kleinen Straße standen noch viele andere Häuser; alte und neuere. Aber keines sah so verwahrlost aus wie das mit der Nummerntafel 27. Viele Jahre war es unbenutzt geblieben, das wußten die Leute, die ringsum wohnten. Man hätte meinen können, daß es auch in den letzten fünf Jahren leer gewesen sei – wäre nicht aus dem Schornstein den ganzen Tag über graublauer Rauch aufgestiegen. Und dann der Hund ...
Aber wer dort seit fünf Jahren wohnte, darüber stritten sich die Leute. Beispielsweise der alte Schuster Bimini behauptete steif und fest, daß es ein Zauberer sei, der sich tagsüber in einen häßlichen Hund verwandle. Bimini war eben schon ein alter Mann, und alte Leute haben manchmal solch merkwürdige Gedanken.
Den Hund aber kannten sie alle, seit fünf Jahren.

Jeden zweiten oder dritten Tag öffnete sich die Tür des kleinen Hauses, und heraus kam der struppige, häßliche Hund, der einen Einkaufskorb aus Stroh am Henkel im Maule trug. In dem Korb lag ein Zettel, auf den Verschiedenes geschrieben war. Zum Beispiel:

2 Kilo Kartoffeln
1 Kilo Salz
3 Heringe
1 Schmirgelpapier Nr. 4


und ähnliches. Daneben lag genau abgezählt das Geld für die Waren.
Der Hund lief schnell zum Geschäft des Kaufmanns Malitschek, der alles auswog, einpackte und dem Hund in den Korb legte. Der Schuster Bimini brummte jedesmal, wenn er den Hund durch das Fenster seiner Werkstatt erblickte. Seinen Enkelkindern drohte er: „Wenn ihr nicht gleich meine Stiefel in Ruhe laßt, dann kommt das Zaubervieh und beißt euch ...“
Pauli und Hansl bauten nämlich aus den alten Schuhen, die die Leute zum Besohlen brachten, alle möglichen Dinge: Türme und Städte und das Kohlenbergwerk was ihnen grade einfiel. Der alte Großvater Bimini wußte dann nie, wo der linke Schuh war, der zum rechten gehörte. Darum schimpfte er und drohte mit dem Hund. Aber Hansl sagte: „Ich hab mir den Hund genau angesehen: er ist ein richtiger Hund und kein Teufel oder Zauberer; denn so was gibt es überhaupt nicht!“
Schön war der Hund wirklich nicht. Seine Beine waren krumm, das Fell recht struppig und immer ein bißchen gesträubt wie bei einem Igel. Das Auffallendste an ihm aber war eben das Fell: es mußte früher wohl dunkelbraun gewesen sein. Jetzt war es an ein paar Stellen hellblond, bei der rechten Hinterpfote fuchsrot, und auf dem Kopf hatte er sogar einen großen blauen Haarfleck.
Aber daß er ein Zauberer oder ein Teufel sei, daran glaubte nur der alte Bimini. Dagegen der kleine, ängstliche Nachtwächter Moos, der die ganze Zeit durch die Straßen und Gassen lief, um aufzupassen, ob nirgends ein Feuer ausgebrochen sei, der behauptete, oft lautes Sprechen, ja sogar Schimpfen aus dem Hause gehört zu haben; auch ein- oder zweimal in den letzten Jahren sei er einem dicken kleinen Mann begegnet, neben dem der Hund herlief.
Man konnte sich das alles zusammenreimen wie man wollte – ein bißchen geheimnisvoll blieb das Haus für jeden. Der Kaufmann Malitschek aber dachte sich: Geschäft ist Geschäft!, und so bekam der Hund alles eingepackt, was auf dem Zettel stand, wie jeder andere Kunde. Denn das Geld, das der Hund brachte, war echt.
Der Hund wußte sicherlich nicht, wie sehr sich die Leute den Kopf über ihn zerbrachen. Er hatte sich an sie gewöhnt und im Laufe der Jahre vieles von der Menschensprache verstehen gelernt. Aber wenn der alte Schuster Bimini „Teufel“ oder „Zauberer“ sagte, so konnte er sich beim besten Hundewillen nichts darunter vorstellen. Der Hund Igel glaubte nur das, was er sehen konnte – und einen Teufel hatte er noch nie gesehen.
Aber dafür kannte Igel einiges, wovon die Leute keine Ahnung hatten. Beispielsweise wußte er, daß er an der Steinkachel vor dem Hause Nr. 27 mit der Vorderpfote scharren mußte, und daß sich dann die Haustür öffnete; manchmal sofort, manchmal durfte er eine Weile warten. Aber Igel wurde nicht ungeduldig. Er wußte ja, was in dem Hause vorging.

Über die Autorin:
Anna Maria Jokl wurde am 23. Januar 1911 in Wien geboren. 1928 ging sie nach Berlin, wo sie als Journalistin und Drehbuchautorin arbeitete. Von 1929 bis 1932 war sie Schülerin von Erwin Piscator. 1933 emigrierte Jokl nach Prag, 1939 nach London. Nach 1945 begann sie mit dem Studium der Tiefenpsychologie in London und am „Jung-Institut“ in Zürich. Von 1951 bis 65 lebte Jokl als Publizistin und Psychotherapeutin in Westberlin, ab 1965 lebte sie in Jerusalem, wo sie 2001 starb. Ihre bekanntesten Bücher sind „Die Perlmutterfarbe. Ein Kinderroman für fast alle Leute“ (1937 in Prag geschrieben konnte das Buch erst 1948 veröffentlicht werden) und „Die wirklichen Wunder des Basilius Knox“

Schutzumschlag von Gerhard Kreische
Illustrationen von Wilhelm Jaruska.

Verlag Neues Leben GmbH, Berlin
Copyright 1947 by Globus Verlag Wien. Berechtigte Lizenzausgabe 1949 für die Sowjetische Besatzungszone durch Verlag Neues Leben GmbH., Berlin W 8.
1. Auflage 1949
2. verb. Auflage 1950

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