NACHWORT (Auszug)
Da Du nun, lieber Leser, das Buch bis zu dieser Seite gelesen hast, bitte ich Dich, auch noch den folgenden Zeilen ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen, denn ich will Dir einiges von dem, was Du eben gelesen hast, erklären. Ich möchte auch, daß Du erfährst, wie es um die Tatsachen bestellt ist, die meinen Erzählungen zugrunde liegen.
Ich habe Dich in diesem Buch in die Welt der Mammut- und Renjäger am Ende der Altsteinzeit (Paläolithikum), in die Welt unserer Urahnen geführt, die vor rund 70.000 bis 20.000 Jahren eine riesige Fläche besiedelten, die sich von der atlantischen Küste im Westen über ganz Mitteleuropa bis in die ukrainischen Steppen und noch weiter nach Osten erstreckte. Diese Menschen haben an ihren Wohnstätten Spuren hinterlassen, die uns eine wahrscheinliche Rekonstruktion ihres Lebens ermöglichen. Und das Leben dieser Mammut- und Renjäger war gar nicht mehr so primitiv. In ihrem Leben finden wir die Anfänge all dessen, was den Inhalt unseres heutigen Lebens ausmacht. Es ist daher unmöglich, das Leben dieser steinzeitlichen Jäger und seine ganze bewundernswerte Vielfalt in einigen wenigen Erzählungen festzuhalten. Deshalb habe ich mich auf zwei der markantesten Merkmale beschränkt: auf ihre Jagd und auf ihre Kunst. Natürlich war es unmöglich, sich in den Erzählungen einzig und allein an diese beiden wichtigsten Grundzüge ihres Lebens zu halten; es war angebracht, wenigstens flüchtig alles andere zu streifen, was den Inhalt ihres Daseins bildete, was ihrem Leben Form und Richtung gab. Nur so war es möglich, diese Erzählungen zusammenzustellen, nur so war es möglich, ein Stück ältester Menschheitsgeschichte zu zeigen. Zunächst etwas Allgemeines.
Zu Anfang des Quartärs, der letzten und jüngsten geologischen Periode, die vor ungefähr 1.000.000 Jahren begann, verschoben sich die Gletscher des Nordens aus bis jetzt noch nicht völlig geklärten Gründen langsam gegen Süden. Auch die Hochgebirgsgletscher kamen von den Gipfeln herab und schoben sich an den Berghängen bis tief in die Täler hinein. Zur Zeit ihrer größten Ausdehnung bedeckten die nördlichen Gletscher eine ungeheuere Fläche; von Norden her reichten sie bis nach England, zum Unterlauf des Rheins und zum Vorland des Riesengebirges und der Karpaten. Die Gletscher waren stellenweise bis 1000 Meter dick. .......
....... Aber die Helden unserer Erzählungen unterschieden sich körperlich nicht mehr von uns, sie waren bereits Menschen von unserem Schlag. Deshalb tragen sie auch die- selbe lateinische Bezeichnung wie der Mensch von heute, nämlich Homo sapiens. Wir fügen jedoch noch das Wort fossilis oder auch diluvialis hinzu und drücken damit aus, daß es sich um Menschen des Jungpaläolithikums handelt. Alle Anzeichen niedrigerer Entwicklungsstufen, die die Skelette ihrer Vorfahren aufgewiesen hatten, sind gänzlich verschwunden; ja, sie standen sogar physisch und kulturell weit über den vorhergehenden Neandertalern (Homo primigenius), deren zahlreiche Lagerplätze, oft mit Skelettresten, hauptsächlich aus der Periode des Moustérien bekannt sind. Sie waren von großer und schlanker Gestalt, besaßen bereits eine artikulierte Sprache und konnten Feuer entfachen. Die Herstellung von Geräten und Waffen war schon hoch entwickelt. Als Material verwendeten sie nicht nur Steine, sondern häufig auch Knochen, Mammutstoßzähne, Geweihe, ja manchmal auch die Zähne verschiedener Tiere. Neben den üblichen Typen der Geräte und Waffen finden wir auch eine ganze Reihe spezieller Werkzeuge, so zum Beispiel allerlei Bohrer, kleine Sägen, Hobel, Hämmer, Nadeln, Dolche und Harpunen. Viele ihrer Wohnstätten waren von beträchtlicher Ausdehnung. Sie lebten in Höhlen oder auch unter freiem Himmel in primitiven zeltförmigen Hütten; in den ebenen Steppen der Ukraine schufen sie sich ein Obdach, indem sie Gruben aushoben und sie auf originelle Art überdachten. Sie nährten sich von gesammelten Pflanzen und erlegten Tieren. Die Jagd war oft schon recht gut organisiert, und die Jäger ersannen mancherlei spitzfindige Jagdlisten. Sie jagten auch große Tiere, zum Beispiel Mammuts, daher auch ihr Name Mammutjäger. Später, als die Mammuts seltener wurden, war das Ren ihre häufigste Jagdbeute; darum werden die späteren Jäger des Magdalénien auch Renjäger genannt. Sie pflegten magische Kulte und haben prächtige Kunstwerke hinterlassen. Der Vergleich mit den Neandertalern läßt erkennen, daß die Mammut- und Renjäger bereits eine beachtenswerte physische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsstufe erreicht hatten. ........
Die Handlung der Erzählung „Das geheimnisvolle Idol“ spielte in einer der Höhlen des Mährischen Karstes, und zwar vor etwa 20 000 Jahren. Der Leitgedanke und Zweck dieser Geschichte war, klar zu zeigen, wie beschwerlich das Leben eines einsamen Jägers war und welche Anstrengung es ihn kostete, alle Hindernisse zu überwinden, die sich ihm im Kampf um den täglichen Lebensunterhalt in den Weg stellten. Dabei wurde das in Stein geritzte Bild des Bisons in Zeiten der höchsten Not und des drückenden Elends zu seinem Idol. Hier wurde die Wandlung eines Kunstwerkes geschildert, das schließlich dazu bestimmt war, ein wundertätiges Bild zu werden. Allerdings finden wir in keiner der Höhlen des Mährischen Karstes die Abbildung eines Bisons; die habe ich mir für meine Geschichte aus einer französischen Höhle ausgeliehen, wo es zahlreiche dieser Bilder gibt, auf denen auch Pfeile zu sehen sind. Wer sich absonderte und die Einsamkeit suchte, setzte sich großen Gefahren aus. Die Voraussetzung für das Wohl der Sippe, für ihr Gedeihen und ihre Stärke war die gemeinsame Arbeit vieler im Kollektiv lebender Jäger.
Mit der Erzählung „Die unterirdische Bildergalerie“ wollte ich Dich, lieber Leser, darauf aufmerksam machen, daß die vollendete Ausführung einiger Malereien der Magdalénien-Jäger vielen Fachleuten den Gedanken nahelegte, daß künstlerische Betätigung schon damals das Vorrecht einiger talentierter Schüler war, die unter der Führung alter Meister ausgebildet wurden und sich so die Technik der Arbeit und ihre althergebrachten Regeln zu eigen machten. Der Schauplatz der Handlung ist die nordspanische Höhle Altamira, die in der Tat eine steinzeitliche Bildergalerie mit den schönsten Werken der Magdalénien-Künstler ist. Deswegen tritt in dieser Geschichte der alte Enk mit seinen Schülern Ang und Rem auf, deswegen muß sich Ang einer Meisterprüfung unterziehen. Dann erst darf er den Abdruck seiner rechten Hand auf die Wand der Höhle drücken, erst dann wird er in die „Zunft“ der Maler aufgenommen. Und noch etwas wollte ich mit dieser Erzählung sagen: Die Anerkennung dieser ältesten Kunstform mußte mühsam erkämpft werden, und der erste Verkünder dieser Wahrheit mußte viele unverdiente Demütigungen und Hohn und Spott hinnehmen. Aber so ist es immer: Die Wahrheit läßt sich nicht unterdrücken und siegt schließlich doch.
Mein Freund, der akademische Maler Zdeněk Burian, hat das Buch unter meiner wissenschaftlichen Anleitung illustriert. Wir haben uns in unseren Wiedergaben an die Wahrheit gehalten und den Bildern tatsächlich aufgefundene Gegenstände zugrunde gelegt.
Ich wäre glücklich, lieber Leser, wenn Dir dieses Buch nicht nur Unterhaltung, son- dern auch ein wenig Belehrung bieten würde. Mit diesem Wunsche lege ich es in Deine Hände.
Inhalt:
5 .......... VORWORT
7 .......... DIE GROSSE JAGD
93 .......... DIE GEBURT DER VENUS
133 .......... DAS GEHEIMNISVOLLE IDOL
185 .......... DIE UNTERIRDISCHE BILDERGALERIE
203 .......... NACHWORT
Mit 38 Federzeichnungen und 6 Duplextafeln
Illustrationen, Schutzumschlag, Einband von Zdenek Burian
Deutsch von
Urania-Verlag Leipzig-Jena-Berlin
1. Auflage 1958
2. überarb. Auflage 1961 [16. - 30. Tsd.]
3. Auflage 1964 [30. - 45. Tsd.]
4. Auflage 1966 [46. - 55. Tsd.]
5. durchges. Auflage 1969 [56. - 65. Tsd.]
Cover der 1. Auflage 1958 |
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