22 Februar 2025

Paul Elgers: Die Marquise von Brinvilliers – Roman nach Akten der Bastille

Buchanfang:
Herr Claude von Sainte-Croix, Major beim Kavallerieregiment Trossi, erhielt ein geräumiges Zimmer im Mittelbau der Bastille zugewiesen. Die Lettre de cachet befahl für den Geliebten der Marquise von Brinvilliers Gefängnis zweiter Klasse.
In der ersten Klasse befanden sich vornehme, verschwenderische Herren, die der Namenszug Ludwigs XIV. vor dem Schimpf einer öffentlichen Anklage bewahrt hatte. Für sie war die Bastille ein keineswegs ehrenrühriges Gewahrsam. In aller Ruhe konnte man Besuche empfangen und seine zerrütteten Finanzen ordnen. Die Herren bewohnten beinah üppig ausgestattete Wohnungen, hatten das Recht auf eigene Dienerschaft, und der Gouverneur rechnete es sich zur Ehre, diese Gefangenen zum Essen einzuladen. Die Herren erholten sich ausgezeichnet, unternahmen gemeinsame Spaziergänge auf dem Wall, und das Gefühl der absoluten Sicherheit vor ihren Gläubigern und vor dem nicht standesgemäßen öffentlichen Skandal machte sie heiter und sorglos. Ihre Hauptmahlzeit bestand aus drei Gängen, zwei Flaschen Wein und einer Flasche Champagner; letztere wurde oft mit Gästen auf das Wohl des väterlichen Monarchen geleert, der für seine Edelleute ein solch ausgezeichnetes Sanatorium geschaffen hatte. Die Gefangenen der zweiten Klasse kamen mit denen der ersten nicht zusammen. Die zweitklassigen Herren hatten weniger Gelegenheit zum Spazierengehen, durften aber je nach Vermögen ihre Tafel verbessern und sich einen Diener halten. Auch Besuche waren nach vorheriger Rückfrage beim Gouverneur gestattet. Zu seiner Tafel wurden sie nicht gebeten. Verarmte, verschuldete und leichtsinnige Offiziere, die in anvertraute Kassen zu tief gegriffen hatten, Herren vom Hofe, in peinliche Liebesaffären verwickelt, Duellanten, deren zeitweiliges Verschwinden sie vor der Rache der Angehörigen ihres Opfers schützte diese ganze adlige Sippschaft war der Gnade oder Ungnade des Königs ausgeliefert.
Das galt auch für Sainte-Croix. „Ein Jahr Bastille“ lautete der königliche Befehl. Ein Jahr, abgeschlossen von der Welt seiner Vergnügungen, des sorglosen Lebens: Sainte-Croix glaubte es nicht überstehen zu können.
Claude war ein schöner Mann. Als er in Paris eintraf, besaß er nichts; aber weil er nichts besaß, liebte er die Verschwendung und machte arglos Schulden. Claude war ein schöner Mann. Das war sein Kapital.
Die dunkle Lockenperücke ließ seine hohe, breite Stirn voll zur Geltung kommen. Die gerade, feste Nase, darunter das elegante Bärtchen über der sinnlich geschwungenen Oberlippe verliehen ihm ein beinahe energisches Aussehen. Sein Gesicht verschmälerte sich von der Stirn nach unten, endete in einem kleinen, flachen Kinn, das ein dünner Spitzbart verlängerte. Claudes Augen waren von glänzendem Schwarz, wanderten ständig unruhig umher, aber auf einen Punkt oder den Gesprächspartner konzentriert, wirkten sie seltsam bezwingend. Als ausgezeichneter Gesellschafter – er konnte besonders aufmerksam zuhören – und geistreicher Plauderer hatte er in den letzten Jahren seine Stellung in vornehmen Pariser Häusern gefestigt. Die Marquise von Brinvilliers führte ihn dort ein; zuvor hatte sie dem an ihren Gatten verschuldeten Hauptmann Sainte-Croix ein Majorspatent gekauft. Und Claude gewöhnte sich sehr bald daran, das Geld der Marquise mit vollen Händen auszugeben.
Ein Jahr Bastille!
Man wird ihn vergessen – den aus dem Nichts hochgekommenen Abenteurer mit falschem Namen ...
Sainte-Croix lief verbittert auf und ab, stieß an plumpe, ungefüge Möbel, und seine Schritte hallten wider von der hohen, feuchten Decke. Langsam beruhigte er sich. Es hätte schlimmer kommen können: Verbrecher ohne adligen Namen saßen tief in den Türmen der Bastille, und die meisten gingen dort wohl elend zugrunde. ‚Niemand darf meinen wirklichen Namen erfahren’, überlegte Sainte-Croix. ‚Sonst bin ich verloren. Aber nein, ich bin so lange nicht verloren, wie Marie-Madeleine zu mir hält und mich liebt. Und sie wird mich weiterhin lieben, denn ich habe sie die Liebe erst gelehrt. Und somit werde ich genug Geld haben, um mir hier in der Bastille das Leben so angenehm wie möglich zu machen.’ Er nahm das als Tatsache, und schon kehrte seine freche Selbstsicherheit und der Hochmut zurück. Marie-Madeleine wird ihn nicht im Stich lassen. Seine beschämende Verhaftung muß ihren Stolz schwer verletzt haben. In diesem Zustand rast eine leidenschaftliche Frau vor Liebe und Zorn. Ihre Liebe wird er stillen und ihren Zorn lenken müssen.
Sainte-Croix stieß die Tür auf und trat in den dämmerigen Gang. Ein Soldat hockte auf dem Sims eines der beiden hohen Bogenfenster; er hatte die Arme verschränkt und starrte den Major gelangweilt an. Seine blauen Augen blinzelten in schläfriger Mattigkeit. Sainte-Croix fischte ein Goldstück aus der weiten Tasche seines langschößigen Rockes und warf es dem Soldaten zu. „He, der Bursch da“, schnarrte er hochmütig, „ich wünsche Polizeihauptmann Régnier zu sprechen. Beeile dich, oder ich mache dir Beine!“ Der Soldat fing geschickt die Münze auf, grinste frech und schlenderte gähnend den Gang hinunter. ‚Im Elend ist der Herr von seinem Knecht abhängig’, dachte Claude verärgert. Ich darf es also gar nicht erst zum äußeren Elend der Besitzlosigkeit kommen lassen. Er trat zurück ins Zimmer, setzte sich gelassen auf den hochbeinigen Stuhl, warf das rechte Bein über das linke, zupfte an den koketten Spitzenmanschetten der Hose knapp unter dem Knie, stützte den linken Arm in die Hüfte, wartete.

Illustrationen von Walter Nauer
 
Greifenverlag zu Rudolstadt
1. Auflage 1964
2. Auflage 1965
3. Auflage 1966
4. Auflage 1967
5. Auflage 1970
6. Auflage 1978 
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Einbandtext:

Die berüchtigte Giftmischerin, deren Spuren Paul Elgers historischer Roman auf Grund dokumentarischen Materials nachgeht, war eine der schönsten adligen Frauen in der äußerlich so glanzvollen Epoche des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV.
Schuldig befunden des Mordes an ihrem Vater, an den beiden Brüdern und anderen ihr im Weg stehenden Menschen, bestieg die Marquise von Brinvilliers im Jahre 1676 das Schafott.

Greifenverlag zu Rudolstadt
Reihe:
Greifen-Kriminal-Roman
1. Auflage 1984  

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