23 Februar 2025

Wolfgang Zeiske: Im Rotwildrudel

Einbandtext:
Ein Hirschkalb wird geboren, verbringt die ersten Lebenstage mit der Mutter, dann schließen sich beide wieder dem Rudel an. Das Hirschkalb wächst im Laufe des Jahres zu einem gesunden kräftigen Tier heran.
Während dieser Zeit begleitet der Leser das Rotwildrudel bei vielen Erlebnissen.

Buchanfang:
Als vor vielen Jahrhunderten die ersten Menschen an den Ufern der Seen und des kleinen Flusses siedelten, schaute ihnen der Wald in die hölzernen Hütten.
Abgelegen, wenig erschlossen ist dieses Gebiet im Nordosten Mecklenburgs noch zu unserer Zeit. Selten, daß Ferienreisende oder Urlauber dorthin gelangen.
Und auch heut ist hier mehr Wald als Feld. Es müßte schon ein rüstiger Fußgänger sein, der ihn in fünf Stunden von Süd nach Nord, in einem Tagesmarsch von West nach Ost durchqueren wollte.
Keine feste Straße führt durch den Wald. Breite Sandwege schlängeln sich in vielen Windungen dahin. Von ihnen führen schnurgerade Schneisen weg, scheinen sich zwischen den endlosen Reihen der Bäume zu verlieren. Aus dem Wald ist bewirtschafteter Forst geworden.
Zwischen Kiefern und Fichten ragen hier und da jahrhundertealte Eichen und Buchen. Sie zeigen an, daß einst Laubhölzer überwogen.
Wer allerdings erwartet, eine wohlgepflegte Baumschule zu finden, täuscht sich sehr. Viel Ursprüngliches hat der Wald bewahrt, haben die Menschen gehütet, die ihn nutzen.
Dichte Schonungen bieten vielem Getier Schutz vor Sicht und Feinden; und auch dort, wo im Abstand von vielen Metern starke Kiefernstämme rötlich leuchten, hindert mannshoher Unterwuchs den Blick, weit zu schweifen.
Lichte Birkenschleier längs der Wege lassen das düstere Grün der Nadelbäume freundlicher erscheinen.
Kleine Lichtungen und Blößen, langgestreckte Wiesen sind allenthalben zu finden. Seen umkränzen den Wald; zwei der größten breiten sich mitten zwischen hohen Bäumen und jungen Kulturen.
Der einsame Wanderer oder Pilzsucher erblickt häufig ein Rudel Hirsche, eine Rotte schwarzborstiger Wildschweine, sieht Meister Reineke wie einen roten Schatten über die Schneise gleiten, beobachtet Hasen, die an sonnigen Stellen spielohren und sich den Balg bescheinen lassen – Menschen trifft er nur selten, es sei denn den Förster oder einige Waldarbeiter.
Auch der Angler, der an verborgenem Lauerort zwischen Schilf und Rohr am Seeufer den Schleien oder Brachsen nachstellt, mag den Fischadler erspähen, der über dem Wasser entlangstreicht und Beute sucht; er mag Bleßhühnern und Enten zuschauen, die sich behaglich in flachen Buchten tummeln oder einander aus ihren Revieren vertreiben. Sein Ohr wird den Ruf der Großen Rohrdommel vernehmen, dumpf dröhnend, oder das Meckern der Bekassine – Menschen wird der Angler kaum erblicken, wenn nicht gerade der Fischer sein schweres Boot über den See stakt, um Reusen aufzunehmen oder zu stellen.

Der Frühling kam zeitig. Schon im Februar schmolz Föhnsturm den Schnee. Wenige Wochen später waren nur an dunklen überwindigen Stellen oder an hohen Wegrändern noch einige schmutzigweiße Krusten zu erblicken.
Die Sonne stand länger am Himmel, gewann Kraft. Es wurde warm. Saat schoß empor. Nun, im Mai, stand sie bereits mehr als kniehoch.
Über Nacht hatte es geregnet, doch gegen Morgen drangen die Strahlen der Sonne wieder durch graue Wolkenschleier. Tau glänzte auf Gräsern und Halmen.
Im lichten Altholz zog gemächlich ein Rudel Rotwild, ließ sich die nassen Felle trocknen, nahm hier und da ein Büschel Halme auf. Fünf Alttiere waren es. Zwei von ihnen führten noch das Kalb des Vorjahres.
Seltsam ruppig sahen die Felle aus, nicht nur wegen der Nässe. Langsam wich das Grau des Winterhaares der dünneren roten Behaarung im Sommer.
Höher stieg die Sonne. Langsam trollte das Rudel weiter waldeinwärts, der Fichtenschonung zu, mehr als tausend Schritt vom Altholz entfernt. Dort hatten die Tiere ihren sommerlichen Aufenthalt bezogen.
Ein Alttier blieb stehen und äugte dem davonziehenden Rudel nach, als gehöre es nicht mehr dazu. Das Kalb blieb bei der Alten.
Eine ganze Weile verharrte das Tier, verließ endlich den gewohnten Wechsel, ......

Illustrationen von Heinz Rodewald
Für Leser von 10 Jahren an

Der Kinderbuchverlag, Berlin
1. Auflage 1979
2. Auflage 1982
3. Auflage 1985

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