05 März 2025

Florence Whitfield Barton: Der Ketzer von Paris

Klappentext:
Frankreich im 16. Jahrhundert: Während Franz I. mit seinem Hofstaat von einem Vergnügen zum anderen jagt, sitzt Robert Estienne, der Drucker des Königs, in Paris über alte Manuskripte gebeugt. Er vergleicht biblische Texte. Und über dem Studium der Heiligen Schriften wird er Christ. Nun beginnt ein leidenschaftlicher Kampf zwischen dem Drucker und den Theologen von Paris. In Frankreich tagen die Ketzergerichte. Die Scheiterhaufen brennen. Korbweise werden ketzerische Bücher – Bibeln und biblische Schriften – ins Feuer geworfen. Ihre Leser, ihre Drucker kommen auf den Scheiterhaufen. Doch Robert Estienne druckt und druckt unter dem wachsamen Auge seiner Verfolger eine Bibel nach der anderen. Der König, sehr beschäftigt mit Reisen, mit dem Bau seiner Schlösser, mit Krieg gegen Spanien und mit Ketzerverfolgung, schützt den Drucker, weil er weiß, daß dessen Kunst seinen Ruf als Mäzen der Künste und Wissenschaften hebt. Auch die Lieblingsschwester des Königs Margarethe von Navarra, – die sich heimlich zur reformierten Lehre hält, kann Robert Estienne lange Zeit vor Verfolgung bewahren, bis die „Drohnen von der Sorbonne“ – die mächtige theologische Fakultät – und die Ketzergerichte siegen. Doch sie greifen ins Leere: Der Drucker ist mit seiner Familie im letzten Augenblick in die Schweiz entkommen und beginnt dort neu mit der Arbeit.

Hier treibt ein vom Willen zur Freiheit besessener Mann sein Spiel mit der Macht. Ein Fuchs, der seine Jäger um die Beute betrügt und ein einfältig Glaubender, der Gott mehr gehorcht als den Menschen.

Robert Estienne, der Drucker von Paris, in der Literatur auch unter der latinisierten Form seines Namens als Robert Stephanus bekannt, war ein Mann, der nicht nur entscheidenden Einfluß auf die reformatorische Bewegung in Frankreich ausübte, sondern der ebenfalls für die Entwicklung der Buchdruckerkunst, besonders des Bibeldrucks, von Bedeutung war. Er ist es auch, der die heute gültige Verseinteilung und Zählung im Alten und Neuen Testament einführte. Das Leben dieses Mannes, zu dessen Freunden so bedeutsame Männer wie Calvin und Farel gehören, gibt einen Einblick in ein interessantes, bisher wenig beachtetes Stück Reformationsgeschichte.

Buchanfang:
Vorwort

Dies ist die Geschichte eines Mannes, dessen Leben in seinen Grundfesten bewegt wurde durch ein ständiges inneres Bedürfnis, zu fragen und zu forschen. Mitglied einer Buchdruckerfamilie, die das französische Geistesleben länger als zwei Jahrhunderte hindurch beherrschte, Sohn des Gründers der „Imprimerie Estienne“, Vater eines durch Gelehrsamkeit noch berühmteren Sohnes, war er von einem unwiderstehlichen Drang nach Freiheit besessen und vererbte seiner Nachkommenschaft diesen Tropfen Rebellenblut in den Adern.
Robert Estienne war ein Mann seiner Zeit. Die Renaissance war auf ihrem Weg von Süden nach Norden bereits bis Paris vorgedrungen. In ihrem Kielwasser strömten junge Männer aus jeder Stadt und jedem Dorf, arm und reich, Sünder und Heilige, in die Universität von Paris, drängten sich in den Schulen, unempfindlich gegen Hunger, Platzmangel und Kälte, nur von dem Wunsche beseelt, zu hören, zu lernen, sich Wissen anzueignen. Und alle verlangten nach Büchern, Büchern und noch mehr Büchern, so daß die Druckerpressen von Paris Tag und Nacht in Betrieb waren, um diesen riesigen Wissensdurst zu befriedigen.
Unsere Geschichte spielt im sechzehnten Jahrhundert im Pariser Universitätsviertel: in jedem Gäßchen eine Schule, Symbol des neuen Wissensdranges, des Strebens nach Horizonterweiterung; an jeder Ecke eine Kirche oder ein Kloster, Bollwerke der alten Weltanschauung, Heiligtümer des unterworfenen Geistes; und über alle hinausragend die Sorbonne mit ihren plumpen, düsteren Türmen, eine Festung des scholastischen Denkens und der autoritären Macht, Sitz der Theologischen Fakultät der Universität Paris, Wachhund und Sprachrohr der Kirche. Wie konnten da Kämpfe um den menschlichen Geist ausbleiben?
In und außerhalb von Paris ging Franz I. seinem Vergnügen nach, ein oberflächlicher, zynischer, zügelloser Geist. Da ihm an der Achtung der Gelehrten und dem Beifall der Welt gelegen war, förderte er das Druckwesen und machte Paris zu einem Mekka für Geistesarbeiter, zum mindesten solange sie sich in althergebrachten Bahnen bewegten und ihr Augenmerk auf die Vergangenheit richteten. Den ewigen Jüngling spielend und in seiner Eitelkeit durch Mutter, Schwester und das Schmeichlertum am Hofe bestärkt, regierte er, wie Laune und Bequemlichkeit es ihm eingaben.
In dieser Zeit waren die Drucker von Paris eifrig damit beschäftigt, den Worten der Menschen Flügel zu verleihen. Sie begannen mit Grammatiken und Werken der Antike, um die Griechen und Römer verständlich zu machen; dann kamen wissenschaftliche Werke, die das Stirnrunzeln der Theologen erregten, und schließlich wagten sie sich vorsichtig an die Deutung der Heiligen Schrift in den Werken von Erasmus, Lefèvre und Martin Luther. Sie druckten Bücher, die die Menschen zum Lachen oder Zittern brachten, die sie gleichgültig ließen oder in Wut versetzten, die sie veranlaßten, Fragen an sich, an andere und an das herrschende System zu richten. Das Fragen wurde im Laufe der Zeit lauter, und Kirche und Staat sahen sich gezwungen, es einzudämmen. Mit vereinter Kraft versuchten sie den wachsenden Strom in unterirdische Bahnen abzulenken, bis sich dort eine dunkle Flut staute, die alles zerstören sollte, was sich ihr in den Weg stellte.
„Ohne die Erfindung des Buchdrucks hätte die Reformation höchstens zu einer Kirchenspaltung geführt; die Erfindung des Buchdrucks machte sie zur Revolution.“* Die Geschichte Robert Estiennes ist eine Episode dieser Revolution.
* Victor Hugo, Notre-Dame de Paris.

Titel der Originalausgabe: The Sage and the Olive; Muhlenberg Press, Philadelphia USA
Deutsch von Dr. Hilde Nordsieck
Lizenzausgabe mit Genehmigung des R. Brockhaus Verlages, Wuppertal
Illustrationen, Schutzumschlag und Einband: Jutta Hellgrewe

Evangelische Verlagsanstalt Berlin
1. Auflage 1971

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