Heftanfang:
Fast zwei Kilometer lang war der Weg durch das Werftgelände, und tausend Gefahren barg er in der Nacht. Heute morgen noch hatte Kasper Bogunde überlegt: Soll er zu Paul Riemann gehen? Soll er Riemann sagen: Ich habe zuviel versprochen? Ich wage den Weg nicht in die fremde Kaserne? Aber an Elli hat er dann gedacht, an Ellis Brief. Sie hat längst begriffen, daß man handeln muß ... Auch er wird handeln. Er wird den Weg wagen, auch wenn er dafür vors Kriegsgericht kommt.
Kurz nach eins zeigte das Leuchtzifferblatt der Uhr.
Mit den acht Flugblättern, die gefaltet im Latz auf der Brust verborgen waren, sprang Kasper aus dem schmalen Fenster seiner Каserne. Die leichten Bordschuhe trug er, die Bänder der Mütze hatte er festgesteckt. Feine Regentropfen fielen. Der Mond lag grauschwarz und verschwommen. Wie verwaschene gelbe Kugeln standen am Wasser die Lichter der Werft.
Im Schatten lehnte er sich an die Front des Hauses, huschte dann bis zum Zaun, schlüpfte durch die Öffnung.
Seitwärts von ihm, an dem großen Kran, dessen riesige Kette rasselte, schwebte das Licht wie ein feuriges Auge. Sie arbeiteten drüben. Unruhig wandte sich das Auge hin und her. Der Schein drang dicht an den Zaun heran, an dem er geduckt und atemlos stand, dann schwenkte das Licht wieder langsam zurück.
Kasper lief los. Stets den Weg im Schatten suchend, verharrend, dann wieder in schnellem, leichtem Lauf, eilte er, geräuschlos, katzenhaft, weiter hinein in das Werftgelände, in dem sich kaum sichtbar Leben bewegte. Er jagte immer weiter, an Gebäuden, Schuppen und Kränen vorbei.
Alles ging gut. Er hatte das Loch vor der Rampe erreicht, in dem ihn der Kamerad erwarten sollte. Er sprang hinein. Das Loch war leer. Er hockte geduckt. Seine Sinne waren gespannt. Jede Bewegung, jeden Laut suchten sie zu erfassen.
Minuten vergingen. Wie endlos lang ist eine Minute. Drüben rasselte immer wieder die Kette. Tutend gab in der Ferne ein Dampfer Signale. Da! Kurz vor ihm ein schleichender Schritt. Ein Mensch stieg in die schwarze Grube. „Gerda!“ sagte der Fremde halblaut. „Gerda!“ flüsterte Kasper erleichtert zurück. Es war das vereinbarte Erkennungszeichen. Der andere hatte die Grube zuerst nicht finden können. Zehn Minuten der kostbaren Zeit waren verloren. Mit wenigen Schritten eilten sie zur Mauer.
Kasper kletterte auf die Schultern des Kameraden. Die Mauerkrone war feucht und glitschig, doch er zog sich hoch. Rittlings auf der Mauer hockend, hakte er sein ledernes Koppel los und half dem Kameraden mit dem Koppel herauf. Sie sprangen in der finsteren Hof. Nur der leichte Regen war zu hören.
Hell, groß, rechteckig und schneeweiß, leuchtete es plötzlich vor ihnen auf. Sie hörten Schritte, lautes Husten, Wasserlaufen.
Diese Erzählung ist ein bearbeiteter Auszug aus dem Roman „Herz des Spartakus“
Umschlag und Illustrationen: Erhard Schreier
Verlag Neues Leben, Berlin
Reihe: Das neue Abenteuer Nr.277
1. Auflage 1968
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