Heftanfang:
An m Fuße des steil abfallenden braunen Berges schlängelt sich ein Flüßchen hin. Zwischen den dichtgewachsenen Weiden zu beiden Seiten stehen die kleinen Häuser der Siedlung Danilowka, umgeben von alten, bemoosten Flechtzäunen und geduckt, wie um sich dem zudringlichen Blick der zu Fuß und zu Wagen Daherkommenden zu entziehen. Zu Danilowka gehören gut hundert Höfe. Die Höfe der wohlhabenden Bauern liegen behäbig und in großen Abständen an der breiten Straße am Fluß. Geht ein Fremder sie entlang, sieht er sogleich, hier wohnen tüchtige Landwirte. Die Häuser sind mit Blech- oder Ziegelschindeln gedeckt, mit Schnitzwerk ist das Gesims reich verziert, und die blaugestrichenen Fensterläden knarren so behaglich im Winde, als würden sie vom satten, gesicherten Leben der Hausherren erzählen. Aus Bohlen sind die Tore vor den Höfen gezimmert, und neu sind die Flechtzäune. Dahinter liegen Speicher, und wohlgenährte Hunde klirren mit den Ketten und knurren wütend, wenn ein Fremder vorübergeht.
Die andere Straße, dicht am Abhang, krumm und schmal, läuft zwischen breitkronigen Weiden dahin, es sieht aus, als fließe sie unter einem grünen Dach. Darüber hin treibt der Wind Staub und Lämmerwolken von Asche, die neben den Zäunen aufgeschüttet ist. Hier stehen keine Häuser, nur Katen. Nackte Not blickt aus jedem Fenster und aus den Höfen mit den dünnen, wackligen Staketenzäunen darum. Fünf Jahre zuvor hat ein Brand die Bauten der zweiten Straße weggeleckt. Für die verkohlten Holzhäuser haben die Bauern Lehmhütten hingesetzt. Sie haben sie schlecht und recht gebaut, doch seit dieser Zeit ist das Elend bei ihnen ein ständiger Gast, tiefer als tief hat es seine Wurzeln geschlagen.
Dem Brand war sämtliches landwirtschaftliches Gerät zum Opfer gefallen. Trotzdem hatten die Bauern im Jahr darauf das Land aufs neue bestellt. Doch eine Mißernte hatte alle ihre Hoffnungen zerstört, ihre Rücken gekrümmt und ihren Glauben daran erschüttert, wieder zu Kräften zu kommen und der Not zu entrinnen. Da zogen die Brandgeschädigten los, ins Elend der Fremde. Bettelnd streiften sie durchs Land zum Kuban hinunter auf der Suche nach leichterem Brot, doch die Heimaterde rief sie unwiderstehlich zurück. Sie kehrten heim nach Danilowka und klopften, die Mütze in der Hand, an die Tür der wohlhabenden Bauern: „Nimm mich zum Knecht, Herr. Für ein Stück Brot laß mich dir dienen.“
Kurz nach Tagesanbruch kam der Knecht des Popen Alexander zu Naum Boizow. Naum spannte gerade das vom Nachbarn entiiehene Pferd vor den Wagen und hatte die Schritte des Hinzutretenden nicht gehört. In seine Gedanken vertieft, fuhr er zusammen, als er plötzlich laut gegrüßt wurde: „Guten Morgen, Väterchen Naum!“
Naum sah sich um, zog den Kummetriemen an und tippte mit der freien Hand an die Mütze: „Guten Morgen! Was ist dein Begehr?“
Titel des russischen Originals: Батраки
Ins Deutsche übertragen von Lieselotte Remané
Umschlag und Illustrationen: Karl Fischer
Verlag Neues Leben, Berlin
Reihe: Das neue Abenteuer Nr.276
1. Auflage 1968
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