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Der Bundesgrenzschutz: Truppenverband, Grenzpolizei oder Bundesbereitschaftspolizei?
Ostern 1986. In Wackersdorf, im BRD-Land Bayern, versammelten sich Tausende Demonstranten, um gegen den Bau einer atomaren Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in einem großen Wald- und Naturschutzgebiet zu demonstrieren.
Zugleich fand bei Wackersdorf eine Aktion der BRD-Friedensbewegung statt. In einer BGS-Zeitschrift las man dazu folgendes: „Zahlreiche Friedensinitiativen und andere wie DGB, SPD, Grüne und kirchliche Gruppen hatten wie in den vergangenen Jahren bundesweit zur Teilnahme an dezentralen Osteraktionen zu den Themen
– Schluß mit dem Rüstungswahnsinn
– Keine Beteiligung an der Weltraumrüstung
– Keine Wiederaufarbeitungsanlagen in Wackersdorf oder anderswo aufgerufen. Ein Schwerpunkt der Veranstaltungen lag im unmittelbaren Bereich der künftigen WAA Wackersdorf.
Aufklärungsergebnisse ließen erkennen, daß extremistische Gruppen unter Ausnutzung der friedlichen Aktionen Angriffstaktiken geplant hatten ... Mit erheblichen Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten mußte daher in diesem Zusammenhang gerechnet werden.“ 1
Die Vorbereitungen seitens der Polizei des BRD-Bundeslandes Bayern waren so getroffen worden, daß mittels eines gewaltigen Polizeiaufgebotes – unter Einbeziehung von etwa 1500 BGS-Beamten – die staatliche Macht massiv „vorgezeigt“ werden sollte. Anvisiert war eine Einschüchterung aller Teilnehmer der Demonstrationen und nicht nur der – im Verhältnis sehr wenigen – Demonstranten, die aus ihrem Unvermögen heraus, gegen bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen in der BRD mit politischen Mitteln anzukämpfen, zum – untauglichen – Mittel der Gewalt gegen polizeiliche Sicherungsmaßnahmen greifen. Dabei war und ist Polizeigewalt nicht selten Ausgangspunkt weitergehender Auseinandersetzungen.
Wie diese „Machtdemonstration“ vollzogen wurde, zeigt der nachfolgende Bericht eines eingesetzten BGS-Beamten: „Der Ostersamstag verlief, wie der Vortag, mehr oder weniger ruhig. Ein sicher eindrucksvolles Bild sowohl für die Störerseite als auch für die bereits vor Ort eingesetzten Polizeikräfte war es, als am Abend die Armada der Wasserwerfer in das Objekt einfuhr und dort für den Einsatz bereitgestellt wurde: insgesamt 42 Fahrzeuge aus dem gesamten Bundesgebiet.“ 2
Die bereitgestellten Wasserwerfer kamen dann auch zum Einsatz, ebenso – erstmals in einem solchen Umfang – die verharmlosend als „Reizmittel“ bezeichneten CN- und CS-Gase, die weitaus gefährlicher als das bisher eingesetzte Tränengas sind. In großem Maße wurden Kundgebungsteilnehmer von dieser „Demonstration der staatlichen Macht“ betroffen.
Pfingsten 1986. Diesmal versammelten sich Zehntausende in Wackersdorf. Der überwiegende Teil der Demonstranten wollte seinen Protest friedlich zum Ausdruck bringen, nur ein kleiner Teil versuchte, mit Gewalt gegen die Absperrungen vorzugehen. In einem Bericht, in dem von einer „Pfingstschlacht“ gesprochen wird, hieß es später: „In Wackersdorf hat sich die Lage in der Nacht zu Dienstag beruhigt ... Erstmals waren am späten Montagnachmittag Ordnungskräfte – neben starken Polizeiverbänden war auch Bundesgrenzschutz eingesetzt – auch gegen Demonstranten vorgegangen, die nicht an den Auseinandersetzungen am Bauzaun beteiligt waren. Bundesgrenzschutzhubschrauber flogen nach Berichten von Augenzeugen wenige Meter über die weit vom WAA-Zaun entfernten Demonstranten und Schaulustigen hinweg, unter ihnen Familien mit Kindern, und warfen Granaten mit CN- und CS-Gas ab. Wie Augenzeugen weiter berichten, kam es zu Panik, Frauen und Kinder schrien und rannten beim Versuch zu fliehen durcheinander. Diese neue Polizeitaktik, die von dem für die Polizei zuständigen Ministerialdirigenten im bayerischen Innenministerium, Joachim Schweinoch, damit begründet wurde, daß die friedlichen Demonstranten die Gewalttäter geschützt hätten, wurde von der SPD ... verurteilt.“ 3
Neben großen Aufgeboten der BRD-Länderpolizeien waren in Wackersdorf zu Pfingsten 1986 wiederum 1500 Bundesgrenzschutzbeamte im Einsatz, ausgerüstet mit Hubschraubern, 10 Wasserwerfern, mehreren tausend Reizstoffkörpern und mehreren zehntausend Liter Reizstoffschaumlösung zur Beimischung in Wasserwerfer sowie mit der „Einsatzausrüstung“ (Helm, Schild und Schlagstock).
Fast überall, wo in der BRD in den letzten Jahren Großdemonstrationen demokratischer und fortschrittlicher Kräfte stattfanden, waren BGS-Formationen präsent.
Ein weiteres Beispiel: „Für den 11. Oktober 1986 war von Friedensgruppen und -initiativen der Aufruf zur Großkundgebung gegen die Aufstellung weiterer ,Cruise missiles' im Hunsrück ergangen. Man erwartete ca. 100 000 Demonstrationsteilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet. Eine Demonstration dieser Größenordnung gab es bislang im Land Rheinland-Pfalz nicht. Deshalb wurden Kräfte des BGS zur Unterstützung bei der Bewältigung dieses Anlasses angefordert.“ 4 Wenn es auch bei dieser Demonstration zu keinen Auseinandersetzungen kam die anwesenden BGS-Einheiten waren darauf vorbereitet.
Hierzu werden vielfältige Übungen genutzt. Bei einem Besuch des BRD-Bundeskanzlers Kohl im BGS-Standort Gifhorn im Juli 1986 wurde die „Einsatzfähigkeit“ des BGS in solchen „Lagen“ wie folgt demonstriert: „Bei der Übung stürmten ,Chaoten' – verkleidete Polizisten – mit Geschrei, Weg mit der Polizei oder ,Hau den Bullen die Schädeldecke ein' auf die Polizeisperren. Schließlich, klärten' Wasserwerfer die Lage. Als Verstärkungen per Hubschrauber angeflogen wurden, gaben die ,Demonstranten' auf.“ 5
Der Bundesgrenzschutz übt aber den „Kampf im Innern“ nicht nur, sondern es ist übliche Praxis, daß er seit den 70er Jahren kontinuierlich zur „Bewältigung“ solcher „Lagen“ herangezogen wird. Die Palette reicht dabei von BGS-Einsätzen anläßlich der Demonstrationen der Friedenskräfte in der BRD 1982 und 1983 bis hin zur Unterstützung der Polizeien der BRD-Länder. Eine ähnliche Situation, wie eingangs im Fall Wackersdorf skizziert, war zum Beispiel in der Zeit vom 3. bis 6. September 1982 im Raum Gorleben „bewältigt“ worden, wo eine BGS-Formation „zur Räumung“ des Demonstrationsplatzes antrat und „unter Einsatz gezielter Wasserstöße ... zügig voran“ kam. In dem Bericht hieß es dann weiter: „In kurzer Zeit hatte sie sich bis an die militante Störerszene herangekämpft. Damit waren im Südabschnitt drei Hundertschaften der Abteilung im Einsatz gegen ... Gewalttäter und eine offensichtlich Gewalt bejahende Demonstrantenkulisse ...“6 Damit ist auch der Feind klar „erkannt“. Wer sich an einer Demonstration gegen die Politik des Monopolkapitals beteiligt, „bejaht offensichtlich Gewalt“.
Das Tätigwerden des BGS hat in diesen Fällen wohl nichts mit „Grenzschutz" zu tun!
Werfen wir also einen Blick in die Geschichte des BGS.
1 BGS Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes, Melsungen, H. 5/1986, S. 17.
2 Ebenda, Nr. 6/1986, S. 15.
3 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt a. Main, 21. Mai 1986.
4 BGS Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes, Nr, 1/1987, S. 19.
5 Volksblatt, Berlin (West), 15. Juni 1987.
6 BGS - Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes, H. 4/1977, S. 17.
Inhalt:
Der Bundesgrenzschutz: Truppenverband, Grenzpolizei oder Bundesbereitschaftspolizei? .. .. .. 3
Stationen einer Entwicklung .. .. .. 9
Von der ersten zentralen Truppenformation zur Bundeswehr .. .. .. 9
Entwicklung zur „Sonderpolizei“ der BRD .. .. .. 15
Der Bundesgrenzschutz in der Gegenwart .. .. .. 22
Führung, Struktur, Dislozierung, Bewaffnung und Ausrüstung der BGS-Verbände .. .. .. 24
Zum Einsatz an den Staatsgrenzen der BRD .. .. .. 32
Im „Spannungs“- und „Ernstfall“ .. .. .. 44
„Polizei des Bundes“? .. .. .. 47
Rechtsstellung und Ausbildung der BGS-Beamten .. .. .. 52
Zur Feindbildprägung im Bundesgrenzschutz .. .. .. 57
Machtinstrument des Monopolkapitals .. .. .. 64
Umschlaggestaltung: Günter Hennersdorf
Kartenzeichnung: Marina Bartsch
Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin
Reihe: MILITÄRPOLITIK aktuel
1. Auflage 1984
2. überarb. Auflage 1988
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