10 August 2025

Carolina Maria de Jesus: Tagebuch der Armut / Das Haus aus Stein

Buchinfo

Carolina Maria de Jesus (1914 - 1977), brasilianische N*, seit 1937 in Sao Paulo, landete nach der Geburt ihres ersten Kindes in der Favela, "dem Ort, wohin man nicht nur Dinge, sondern auch Menschen wirft".

"Ich kam nach meinen Versuchen, etwas im Abfall zu finden, zu Hause an und hatte nichts zu essen. Ich lehnte mich innerlich auf und schrieb." Der Journalist Audálio Dantas entdeckte die Aufzeichnungen, "eine Revolution in einer Bretterbude. Die Revolution wurde zum Buch und bekam den Titel ,Tagebuch der Armut'". Die erste Auflage erschien 1960 in Sao Paulo und war innerhalb von drei Tagen vergriffen, es folgten aufsehenerregende Ausgaben in aller Welt.

Das Buch, dessen Erfolg es der Autorin ermöglichte, die Favela nach mehr als fünfzehn Jahren zu verlassen, "ist ein Schrei des Protestes. Ein Dokument der tiefsten Verzweiflung. Es ist aus dem Abfall hervorgegangen, wie seine Autorin, um einen Teil des brasilianischen Lebens zu offenbaren. Mit aller Kraft, die ihm innewohnt" (Audálio Dantas).


Leseprobe

Ich kann meiner lieben verstorbenen Mutter nichts nachsagen. Sie war sehr gut. Ihrem Wunsche nach sollte ich Lehrerin werden. Die Lebensumstände haben sie daran gehindert, ihren Traum zu verwirklichen. Aber sie hat meinen Charakter gebildet, indem sie mich lehrte, die Demütigen und die Armen zu lieben. Deshalb tun mir die Bewohner der Favela leid. Obgleich es hier Leute gibt, die verachtet werden müßten, Leute, die wirklich böswillig sind. Heute nacht haben Dona Amelia und ihr Freund sich gestritten. Sie schrie, daß er nur wegen des Geldes, das sie ihm gibt, mit ihr zusammen lebe. Man hörte nur die Stimme der Dona Amelia, die an dem Streit Freude zu haben schien. Sie hat mehrere Kinder in die Welt gesetzt. Sie hat sie alle verteilt. Sie hat zwei erwachsene Söhne, die sie nicht im Hause haben will. Sie setzt ihre Söhne zurück und zieht die Männer vor. Der Mann tritt durch die Tür ein. Der Sohn ist die Wurzel des Herzens.

Reclams Universal-Bibliothek Band 299
2. Auflage 1979


Zu diesem Buch gibt es noch einen 2. Teil. Dieser erschien, soviel ich weiß, nicht in der DDR. Ich möchte ihn euch aber nicht vorenthalten und stelle ihn hier mit vor:


Das Haus aus Stein - Die Zeit nach dem Tagebuch der Armut (1961)

Buchinfo
In "Das Haus aus Stein" beschreibt Carolina Maria de Jesus ihr Leben nach Erscheinen des "Tagebuchs der Armut", dem Tagebuch aus fünf Jahren Leben in einem Elendsviertel vor den Toren Sao Paulos. Das Aschenputtel Brasiliens, gleichsam zu einem Konsumprodukt geworden, ist plötzlich weltberühmt. Sie wird interviewt und fotografiert, die Kritiker verleihen ihr Preise, die Reichen laden sie zu Tisch, und verschiedene Präsidenten empfangen sie. Sie verläßt die Favela und lernt die Welt der "Reichen" kennen. Mit "Reichen" meint sie nicht die wirklich Reichen, von ihrem Standpunkt aus sind alle reich, die in einem Steinhaus leben. Unter gewissen Gesichtspunkten ist "Das Haus aus Stein" ein noch fesselnderes Buch, weil sich darin ein wenig Freude findet, der Glanz der neuentdeckten Welt, das Glück des vollen Magens, die Ratlosigkeit vor ungewohnten Dingen und eine bittere Feststellung: Auch in den Steinhäusern gibt es Elend in den verschiedensten Formen.
Dann vergingen die Jahre. Im Nachwort wird geschildert, wie sie in die Favela zurückkehrt und dort 1977 stirbt. Keiner erinnerte sich mehr an die Frau, die geschrieben hatte: "Der Hunger ist das Dynamit des menschlichen Körpers."

Buchbeginn
Eines Tages - es war ein Nachmittag im April 1958 - ging ich in die Favela do Canindé und entdeckte eine Revolution in einer Bretterbude; die Aufzeichnungen der N* Carolina Maria de Jesus. Die Revolution wurde zum Buch und bekam den Titel "Tagebuch der Armut".
Jetzt muß ich von neuen Aufzeichnungen derselben N* sprechen. Sie ist aus der Bretterbude herausgekommen und hat ein Traumhaus bezogen - ein Haus aus Stein. Sie ist unsere Nachbarin, hier, wo sie mit jenen Augen um sich blickt, die daran gewöhnt waren, die Favela zu sehen, alles zu beobachten und aufzuschreiben: das Große, Schöne und Elende dieser Seite des Lebens.

Wagner Verlag 

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