04 Mai 2023

Jan Flieger: Der Sog

Karl Bennewitz, Ingenieur, Abteilungsleiter in einem volkseigenen Maschinenbaubetrieb, ist in einen Sog geraten, der ihn unwiderstehlich mit sich reißt: Eine Gruppe von Betriebsangehörigen, zu der er zählt, mißbraucht raffiniert das Neuererwesen, um sich schamlos zu bereichern. Längere Zeit läuft alles wie am Schnürchen, doch dann lernt Bennewitz die junge Karin März kennen und will sich von seiner Frau trennen. Franziska denkt nicht daran, ihn aufzugeben, an dessen Seite sie ein angenehmes Leben in Wohlstand genießt. Sie stellt ihm ein Ultimatum: Entweder du bleibst bei mir - oder ich lasse dich "hochgehen". In Bennewitz reift ein verzweifelter Mordplan...

Jan Flieger, als Autor von Kurzgeschichten bekannt geworden, gestaltet in seinem ersten Kriminalroman das Schicksal eines Mannes, der äußerlich sicher und erfolgreich zu sein scheint und doch innerlich zerrissen und schwach ist. Die spannungsgeladene Handlung läßt den Leser darüber nachdenken, was geschehen kann, wenn Menschen unfähig sind, ihren besseren Einsichten zu folgen.

Mitteldeutscher Verlag Halle - Leipzig
 

03 Mai 2023

Frank Wedekind

Ich kann nicht arbeiten, singe bloß Choräle und Wedekind. Das ist ein Erbauungsschriftsteller wie wenige.

Bertolt Brecht


Was mich an ihm faszinierte, war die steile Gebärde, der schneidende, unerbittliche, dabei immer leicht diabolisch-sarkastisch gefärbte Ernst, mit der er seine gewagten, mir aber durchaus einleuchtenden moralischen Thesen künstlerisch demonstrierte und kämpferisch vertrat. So nimmt er seinen Platz ein zwischen meinen Heroen, noch im Dunstkreis Nietzsches, nicht weit von Heine und Büchner, aber doch feierlich isoliert: eine plumpe, gedrungene Gestalt von aggressiver Würde, halb Hanswurst, halb Prediger, der messerscharfen Mundes die Wiedervereinigung von "Moral und Schönheit" fordert.

Klaus Mann


Frank Wedekind, geboren am 24. Juli 1864 in Hannover. Sohn eines ostfriesischen Arztes amerikanischer Staatsangehörigkeit und einer kalifornischen Schauspielerin ungarischer Herkunft; Gymnasiumsbesuch in Aarau (Schweiz); 1884 Studium der Germanistik und Jura in Lausanne und München, daneben Besuch der Malerakademie; 1886 Studienabbruch und Reklamechef bei der Firma Maggi Kemptal; journalistische Arbeit für die Neue Zürcher Zeitung; Mitarbeit an Bierbaums Modernem Musenalmanach und Verbindung zum Zürcher naturalistischen Dichterkreis, dem u. a. Gerhard Hauptmann und Peter Hille angehörten; 1887/88 sporadische Fortsetzung der Studien in Zürich; Sekretär beim Zirkus Herzog...

Verlag Neues Leben Berlin
Poesiealbum 148

Heinz-Karl Bogdanski : Rolle rolle Rädchen

12-seitiges Pappbilderbuch




Kinderbuchverlag, Berlin

1. Auflage 1962
4. Auflage 1966

Fred Wander: Der siebente Brunnen

Dieses Werk besticht durch Poesie. Das mag überraschen, scheint dem Thema nicht angemessen zu sein. Läßt sich der Alltag eines Konzentrationslagers "poetisch" darstellen?

Vor kaum mehr als zehn Jahren haben Bücher von Georges-Arthur Goldschmidt, Ruth Klüger,Louis Begley und Imre Kertesz neue Formen des Sprechens über den Holocaust gefunden und damit die Frage des »Weiterlebens« mit der Erinnerung auf eindringliche Weise an den Leser übermittelt. »Der siebente Brunnen« ist zwanzig Jahre älter und gehört doch genau zu diesen Büchern.

»Wie soll man Geschichten erzählen, die fast alle mit Tod, mit Mord, mit Erschießen, Erschlagen, Verhungern, Erfrieren, mit Gaskammer und Galgen enden. 7 Geschichten, die nicht erfunden sind, an denen der Autor nichts erfinden darf. Anti-Geschichten also, denn die sie in Szene setzten, hatten es auf das Ende der Geschichte und aller Geschichten angelegt. Wie das erzählen, ohne davon erdrückt zu werden oder unzulässigerweise zu beschwichtigen. Wander hat das Problem des Erzählens, des Redens unter solchen Umständen überhaupt zum Motiv seines Buches gemacht. Vom ersten Kapitel an denkt er über die Voraussetzungen menschlicher Sprache, des einander Zu-Sprechens und Miteinanderredens nach. Wenigstens einige aus diesem Heer der Anonymität entreißen, in der man sie umkommen lassen wollte. Wenigstens einige Namen aufrufen, einige Stimmen wiedererwecken, einige Gesichter aus der Erinnerung nachzeichnen. Er schildert sie, unterschiedlich, wie sie sind, Starke und Schwache, sich Auflehnende und Passive, Fromme und Ungläubige, Stolze und Demütige, Junge und Alte, Juden aus Europa und Franzosen, Russen, Ukrainer. Alles zur Einheit gebracht durch die immer anwesende Person des Erzählers, der den Leser an seinem einmaligen, persönlichen Versuch, sich der wichtigsten Erfahrung seines Lebens zu stellen, teilnehmen läßt. Davon eben geht die Wirkung des Buches aus.« (Christa Wolf 1972) 

Fred Wander, geboren 191 7 in Wien, verließ mit 14 die Schule: Er war Gelegenheitsarbeiter, imigrierte 1938 von Wien nach Frankreich, wo er 1939 interniert und von wo er schließlich nach Auschwitz und Buchenwald deportiert wurde. Nach dem Krieg ging er zurück nach Wien, arbeitete als Fotograf.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
4. Auflage 1984

 

02 Mai 2023

Wolf Spillner: Claas und die Wunderblume

 

Buchanfang:

Weit im Norden, in den Wäldern hinter dem Meer, gab es vor langer, aber noch denkbarer Zeit zwei Gehöfte. Groß und stattlich war das eine. Scheunen und Stallungen umstanden das Wohnhaus. Es war rot mit Kupferfarbe gestrichen, trug weiße Fensterrahmen und am wohlgefügten Schindeldach ebensolche Windbretter. Kühe grasten auf den umliegenden Weiden, und im Stall grunzten dickleibige Schweine. Freude war nicht in diesem Haus.
Das andere Gehöft war armselig. Über einer windschiefen Hütte hing das Dach aus Sumpfgras und Schilf wie ein Gänseflügel in der Mauser. Ein schwärzlicher Schuppen stand ihr im Schatten zweier Kiefern zur Seite. Darin trocknete ein Fischernetz. Auch hier war Freude fremd.
Beide Gehöfte trennte ein großer, sehr tiefer See. Ihn deckte im Winter starkes Eis, Sturm trieb den Schnee darüber. Im Frühling spiegelten sich in seinen Wassern wilde Gänse und Kraniche, die eiliger noch als die hellen Wolken nach Norden zogen. In den Sommernächten lag der See tintenblau und ohne Wellenschlag zwischen den stummen, weiten Wäldern. Dann flog an den Ufern der große graue Nebelkauz lautlos wie eine Feder im Wind. Seine goldenen Augen überblickten den See und die Ufer, die Wälder und jene beiden Gehöfte. Er sah an der ärmlichen Hütte einen jungen Fischer, der Claas Claasson hieß, und jene Menschen auch, die in dem reichen Haus lebten. Es waren dies der Bauer Lubbe und seine Tochter Kristina, die steinalte Magd Birgitta sowie die beiden Knechte Ake und Björn. Nicht mehr im Hause lebte Kristinas Mutter. Sie blieb verschwunden ohne Spur. Lediglich ihre Schuhe wurden am Ufer gefunden.
Vom See aber hatten Stimmen geklungen, wie ein Teufelsgelächter, schrill und hoch. Es waren die Stimmen der Späher. Sie hatten Vogelgestalt. Fliegen konnten sie und besser noch schwimmen und tauchen. Weit glitten sie unter Wasser dahin, tauchten hier auf und dort, spähten aus kaltroten Augen und gaben mit ihrem Schrei Kunde von allem, was rings um den See an den Ufern geschah. Diese Späher waren die Diener des Wassergeistes.
Die wenigen Menschen, die in dem großen Gehöft lebten, fürchteten sich vor ihren Schreien. Niemand wagte seither, von Kristinas Mutter zu sprechen, denn es war sicher, daß sie dem Wassergeist verfallen war. Und sie wußten es alle, daß Kristinas Mutter schön gewesen und eitel dazu und versessen auf Gold und auf Edelsteine.

Der Kinderbuchverlag, Berlin
1. Auflage 1989
Für Leser von 10 Jahren an
Illustrationen von Norbert Pohl

Da fällt herab ein Träumelein


Alte Kinderreime, illustriert von Petra-Gundula Kurze


Schlaf, Kindchen, schlaf,
der Vater hüt' die Schaf,
die Mutter schüttelt's Bäumelein,
da fällt herab ein Träumelein,
schlaf, Kindchen, schlaf.

Schlaf, Kindchen, schlaf,
da draußen geht ein Schaf,
ein Schaf und eine bunte Kuh,
Mein Kindchen, mach die Augen zu,
schlaf, Kindchen, schlaf.

Der Kinderbuchverlag Berlin
12-seitiges Pappkinderbuch

1. Auflage 1980
2. Auflage 1981
3. Auflage 1982
4. Auflage 1983
5. Auflage 1984
6. Auflage 1985
7. Auflage 1989

Gerhard W. Menzel: Lessing und andere - Dichter-Geschichten

Geschichten von drei Dichtern erzählt Gerhard W. Menzel (1922-1980), der Leipziger Autor, der sich mit historisch-biografischen Romanen einen Namen gemacht hat. Gestaltete er in seinen Romanen die Schicksale Heines, Schillers, Bruegels und Molières, so stellt er in den Mittelpunkt der Erzählungen Christian Reuter, Lessing und den Freiherrn Friedrich von Hardenberg, der sich Novalis nannte. Dichter-Geschichten: Warum Christian Reuter, der Vater des »Schelmuffsky«, 1697 von der Leipziger Universität geworfen und der Stadt verwiesen wurde, davon handelt die erste. Die zweite berichtet darüber, wie sich Lessing, allen Widrigkeiten zum Trotz, in seinem letzten Lebensjahrzehnt als Wolfenbütteler Bibliothekar zu behaupten wußte. Die dritte schließlich führt den Dichter Novalis mit einem Dorfschulmeister in Goseck und mit dem Ehepaar Schlegel in Jena zusammen: unterschiedliche Auffassungen und Temperamente prallen aufeinander – man lebt in der bewegten Zeit der französischen Revolution.
Nur diese drei von fünf geplanten Erzählungen hat der Autor vollenden können. Eine Forster-Novelle blieb Bruchstück, von einer Herder-Erzählung existiert faktisch nichts. Dagmar Winklhofer gibt in einem ebenso instruktiven wie einfühlsamen Nachwort Auskunft über das Gewollte und das Erreichte.

Vor-Satz des Autors:
Lessing und andere, was verbindet sie? Die Literatur? Menschliche Bewährung? Ihr tragisches Geschick und Lebensläufe, die oft vorzeitig endeten? Haltung, achtbare, tapfere Haltung? Das alles auch und wohl noch etwas mehr, dessen Gemeinsames nicht mathematisch zu erfassen ist. Vertraut man auf das Voranschreiten in der Geschichte, so ist da immer auch ein Schritt mit solchen Namen wie Lessing oder Forster oder etlichen anderen streitbaren Männern der Literatur verbunden. Es mag wohl nützlich sein, zu wissen, daß es zu Zeiten des poetischen Schwulstes und der spätbarocken Scholastik hierzulande Männer gab, die sich – wie der Professor Thomasius oder wie Christian Reuter – der Sprache des Volkes bedienten und damit dem Volke Sprache verliehen. Auch wäre es gut, sich öfter zu besinnen, daß zur gleichen Zeit, da Lessing erbittert um Wahrheit und um Klarheit stritt, der berühmte deutsche König mit dem Krückstock an seinem Hofe nur französisch parlierte und die deutsche Sprache en canaille behandelte. Mögen andere den Krückstock ehren, wir meinen, Lessings Feder habe mehr bewegt. Selbst die Romantiker fühlten sich in ihrer frühesten Zeit noch als Aufklärer vom Geiste Lessings, und sie begrüßten infolgedessen die Revolution der Franzosen. Wie und warum sich das änderte – es steht auf einem anderen Blatt (in diesem Buche), und somit kann es auch geschehen, daß unversehens ein Dorfschulmeister oder Caroline Schlegel zu den wahren »Helden« der Geschichte werden.
Lessing und andere, was verbindet sie? Nicht nur die Literatur. Soviel ist also schon gewiß...

Mitteldeutscher Verlag Halle Leipzig
1. Auflage 1985
Mit Illustrationen von Ellen Willnow
Herausgegeben und mit Nachbemerkungen versehen von Dagmar Winklhofer