Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
10 Juni 2020
Andris Kolbergs: Die Nackte mit dem Gewehr
Inhalt
Ein bekannter Fotograf wird im Hof seines Hauses erschossen aufgefunden. Die Ermittlungen der Kriminalmiliz geraten zunächst in eine Sackgasse, bis ein verschwundenes Werbefoto wieder auftaucht: es zeigt eine nackte Frau, sitzend auf einem soeben erlegten Keiler, dekoriert mit einem kostbar ziselierten historischen Jagdgewehr.
Auszug
Als Bertulis ging, begleitete ihn der junge Mann bis vor die Tür und sagte plötzlich ohne jeden Übergang: "Was hältst du von einem Geschäft zum gegenseitigen Vorteil?" Er blickte Bertulis ruhig ins Gesicht und spielte mit einem elastischen Metallineal. "Ich kann dir bespielte Tonbänder besorgen. Mit den besten Gruppen. Alles brandneu. Wenn du was zu fotografieren hast, stehe ich jederzeit zur Verfügung."
"Und die Gegenleistung?"
"Gib mir das Foto von der Frau mit dem Keiler. Ich sage keinem ein Sterbenswörtchen."
Nur keine Verwunderung zeigen, ihn nicht unterbrechen, soll er ruhig weiterreden! "Hm", knurrte Bertulis nachdenklich.
"Versteh mich recht, mir geht's nicht um das Foto. Das ist Rudolfs' Werk, Ruhm und Ehre gehören ihm! Ich will nur wissen, wo die Dame wohnt oder wo ich sie finden kann. Von solch einem Modell träumt man sein Leben lang. Ich möcht sie fotografieren. Bei ihr kommt die Wirkung nicht von außen, sondern von innen. Solche Frauen sollte man fotografieren! Jeder Mann, der das Bild sieht, muß bereit sein, auf der Stelle Frau und Kinder zu verlassen und seinen Beruf an den Nagel zu hängen, die Frauen aber müssen vor Wut schäumen und sich die Haare raufen. Sex, verhaltener, wilder Sex!" Das Metallineal sprang dem jungen Mann aus der Hand und fiel scheppernd auf den Asphalt im Hof, er hob es jedoch nicht auf. "Hübsche Mädchen gibt's engros. Mit strahlenden kalten Fischaugen. Wer braucht so was? Eine Frau muß in erster Linie begehrenswert sein, erst dann kommt die Schönheit. Und so muß man sie fotografieren."
"Wie, sagtest du, heißt sie?"
"Wenn ich das wüßte, würde ich dich nicht beknien, dann hätte ich längst das Auskunftsbüro gestürmt."
"An ein Foto mit einem Keiler kann ich mich nicht erinnern."
"Dann mußt du blind sein! Oder du verstellst dich aus lauter Angst!" Der junge Mann musterte Bertulis verächtlich und ging ins Atelier zurück. Dimdas Archiv war also nicht vollständig, es fehlten Autos! Wie viele mochten es sein? Und wieso fehlten sie?
Verlag Volk und Welt
Roman-Zeitung Nr. 453
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