Bücher und Schriftsteller, die in der DDR gelesen wurden. Schaut bitte nicht nur danach, ob hier jeden Tag Beiträge auflaufen, nutzt diesen Blog auch wie ein Lexikon. Er ist ein Langzeitprojekt, da ist es sicherlich verständlich, wenn zwischendurch immer mal wieder pausiert wird. Sei es, um nicht die Lust daran zu verlieren, aber auch, weil die Beiträge auch regelmäßig vorbereitet werden müssen. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Stöbern und Erinnern oder neu entdecken.
02 September 2020
Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger
"Das Herz ist ein einsamer Jäger" - melancholischer Titel eines zwar gefühlvollen, aber keineswegs sentimentalen Romans. Was bei einem anderen Schriftsteller ins Überschwengliche abgeglitten wäre, das wird durch Carson McCullers' gebändigte Virtuosität zur poetischen Bestandsaufnahme einer von inneren Widersprüchen zerrissenen Welt. Mit den Mitteln eines mit lyrischen Tönen durchsetzten Realismus zeigt sie menschliche Schicksale in einer durchschnittlichen Kleinstadt in Georgia, in den Hinterhöfen, Cafés, Rummelplätzen und Elendsquartieren. "Die größten Gebäude waren die Fabriken, in denen ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung beschäftigt war. Es waren gutgehende, reiche Baumwollspinnereien, aber die meisten Arbeiter der Stadt waren sehr arm. Auf der Straße begegnete man oft Gesichtern, aus denen die Verzweiflung des Hungers und der Einsamkeit sprach." Dies ist der Hintergrund für eine Ballade von den Geschundenen, in deren Mittelpunkt die Beziehungen einiger Menschen zueinander und zu ihrer Umwelt stehen. Der Taubstumme John Singer repräsentiert symbolisch das, was in den amerikanischen Südstaaten völlig geschwunden zu sein scheint: Herzenswärme und Mitgefühl. Ihm berichten die Halbwüchsige Mick Kelly, der sich im Zorn über soziales Unrecht zerfleischende Anarchist Jake Blount, der täppische, hilfsbereite Kneipenwirt Bill Brannon und der aufrechte Negerarzt Dr. Copeland ihre Sorgen und Nöte. Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, daß der Taubstumme seine Freunde versteht und daß er, der von Natur aus Kommunikationsschwierigkeiten hat, nicht abgestumpft ist. Bei ihm finden die anderen Verständnis und Freundschaft, obwohl ihr Verhältnis untereinander von Mißtrauen, Angst, ja zuweilen Haß gezeichnet ist. In einer Welt des kalten Geschäftsgeistes, des Rassenterrors oder der stillschweigenden Unverschämtheit weißer Polizisten und Gefängnisaufseher haben Copeland und Blount erkannt, daß etwas unternommen werden muß. Doch die Kluft zwischen ihnen ist nicht unüberbrückbar, da sie sich über die Methoden des Kampfes nicht einigen können. Bei anderen Gestalten des Romans stehen private, psychologische Probleme im Vordergrund, Copeland aber setzt sich ebenso beredt wie unerbittlich für die Emanzipation der Neger ein, die er mobilisieren und zu einem Marsch nach Washington aufrufen will. Was er über die faschistischen Verbrechen in Deutschland erfährt, erkennt er als Parallele zur jahrhundertelangen Verfolgung der amerikanischen Neger durch die Weißen. Nach dem verzweifelten Selbstmord Singers bricht der Freundeskreis auseinander: Alter und Krankheit zwingen den Negerarzt, die erzieherische Arbeit aufzugeben, Blount vagabundiert durchs Land, Brannon vergißt seine Liebe zu Mick Kelly, die mit ihren Pubertätsproblemen allein fertig werden muß...
Verlag Volk und Welt Berlin, 1. Auflage 1968
Aus dem Amerikanischen von Susanna Rademacher
Schutzumschlag: Heidrun Hegewald
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