21 September 2020

Wilhelm Raabe: Die Chronik der Sperlingsgasse


Wilhelm Raabes erste größere literarische Arbeit, die ihn unmittelbar nach Erscheinen bekannt und berühmt werden ließ. 
Sie ist entstanden während seiner Berliner Studienjahre und beschreibt die Geschichte eines Berliner Hauses und seiner Menschen in einem der ältesten Viertel Berlins, das - wie die ganze Straße - inzwischen ein Stück Geschichte geworden ist und charakterisiert den Dichter als einen der bedeutendsten volkstümlichen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.
Gerade in diesem Werk ist oft das "Idyllische" und "Beschauliche" hervorgehoben worden, und doch ist Raabe viel mehr, denn hinter der liebe- und humorvollen Kleinmalerei und sentimentalen Verschnörkelung des deutschen Alltags hebt sich deutlich der große gesellschaftspolitische Hintergrund der Zeit um 1848 ab, den der Dichter sah und auf den er leidenschaftlich reagierte.
Aus dieser Erkenntnis der Zeit entstand - bei aller Einsicht in die gesellschaftsbedingten Grenzen Raabes - sein Haß gegen feudale Überheblichkeit und seine für die damalige Zeit ungewöhnliche Einsicht in die Lebensbedingungen und -rechte des entstehenden Proletariats.
Im Sinne dieser Gedanken legt der Verlag seinen Lesern dieses Buch in die Hand, überzeugt davon, einem viel geäußerten Wunsch gerecht geworden zu sein.

Das Neue Berlin, 1952
Schutzumschlag, Einband und Illustrationen: Karl Stratil






 Wilhelm Raabes „Gemälde“ der Berliner Spreegasse hat mit den Bildern Spitzwegs viel gemeinsam – enge Erker und Winkel, malerische Ausblicke in die Stuben der Nachbarn und über die Straße hinweg, Fenster mit Resedatöpfen, Vogelbauern und schrulligen Bewohnern dahinter; über allem, wehmütig und versöhnlich, das Licht des Humors. Sehr leicht wären solche Skizzen und die Schilderungen des Chronisten Johannes Wacholder vom Leben und Treiben in dieser Gasse als sentimentale Idylle abzutun. In der Vielfalt und Wahrhaftigkeit der gezeichneten Genrebilder, in der Deutlichkeit ihres Ausdrucks und im genau getroffenen Zeitkolorit aber liegt eine künstlerische Größe, die fern aller süßlichen und beschönigenden Idyllik bleibt. Das Urteil Hermann Hesses, der den Autor „den einzigen wirklichen dichterischen Darsteller des Deutschland zwischen 1850 und 1880“ nennt und „dem träumerischen Fabulisten und zähen Kritiker, dem strengen und so warmherzigen Liebhaber seines Volkes“ tiefen Respekt und Verehrung zollt, gilt auch für das künstlerische Debüt des jungen Wilhelm Raabe. Bereits darin sind die Figuren der Handlung Einsame, Sonderlinge, im Lebenskampf Verletzte, die Misere einer Zeit offenbarend, in der dem menschlich und politisch Aufrechten nur Resignation und persönliche moralische Integrität bleiben. Die Geschehnisse des Buches aber – die Kinderstreiche Elises und Gustavs, die politischen und familiären Schicksale des einstigen Oppositionellen Wimmer, die krausen Weltansichten des Karikaturisten Strobel und die Erzählung der Großmutter Karsten – üben heute wie damals einen unverminderten Reiz aus.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1980

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