20 Oktober 2020

Karl Heinz Berger: Nettesheim oder: Die Schwierigkeit ein Held zu werden


 Von den Donquichotterien eines Mannes aus dem geistigen Mittelstand wird in diesem Roman erzählt. Seine Talente sind mäßig und führen ihn nie übers Dilettieren hinaus: nicht im Beruf, nicht in der Kunst, nicht in der Politik. Auch in der Liebe nicht. Dabei mangelt es diesem Nettesheim beileibe nicht an der Fähigkeit, sich zu begeistern; es fehlt ihm nur die Einsicht in die Umstände und in seine Fähigkeiten, ohne die Begeisterung stumpf und wirr bleiben muß. So führt ihn sein Weg auf der Suche nach Sinnerfüllung, nach Anerkennung und Ansehen, nach dem Heldentum durch die Niederungen der Dummheit und schließlich in die Katastrophe.

Das Land am Rhein, dieses oft besungene und bereiste Land, ist der Schauplatz der kleinen, halbherzigen Taten und der seltsamen Abenteuer des Hermann Joseph Nettesheim. Er liebt das Rheinland, besonders Köln, liebt die rheinischen Menschen mit ihrem Lokalpatriotismus, der ihnen nur allzuoft die Sicht auf die größeren zusammenhänge verdeckt. Er ist mit so viel anerzogener Verachtung für die Preußen und mit solch großer Sehnsucht nach einem selbständigen Rhein-Staat ausgestattet, daß er zu desertieren versucht, als er im ersten Weltkrieg im verhaßten Uniformrock der Preußen gegen das verehrte Frankreich kämpfen soll, und daß er nach dem Krieg mit der Waffe in der Hand für den freien Staat am Rhein fechten will. Dabei werden ihm auf seiner grotesken Suche nach der "blauen Blume" die Hintergründe des Rheinseparatismus nicht klar, genausowenig wie zehn Jahre später die Hintergründe des Faschismus. Sein Leben endet unbeachtet und glanzlos im Gestapo-Keller seiner geliebten Stadt, die wie das ganze Land eine Beute der Barbarei geworden ist.

Landschaft und Menschen des Rheinlandes weiß der Autor, selbst ein Sohn dieses deutschen Stammes, lebendig zu schildern. Er erzählt behaglich und ein wenig ironisch, ohne die menschliche Anteilnahme zu verleugnen, betont den Abstand zu den schon historisch gewordenen Ereignissen - ohne zu leugnen, daß einige Faktoren, die damals bestimmend waren, auch heute noch wirksam sind.

Union Verlag Berlin, 1966

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