»Meine Eltern sagten immer: Du darfst nichts tun und nichts sagen, was du nicht ehrlich meinst. Sie haben mich gegen die Heuchelei erzogen«, sagt die Rosi in Maxie Wanders erstem Buch »Guten Morgen, du Schöne«. Es sind Maxie Wanders eigene Gedanken, die hier zum Ausdruck kommen. Sie war eine unbequeme Zeitgenossin, »unbequem«, weil unbestechlich und von Zorn erfüllt über die Korruptheit, das Konsumdenken, das blinde Sichfügen und Resignieren vieler Menschen in unseren Reihen. Daß sie auch bei kleinen Anlässen gern auf die Barrikaden ging und offen ihre Meinung sagte, brachte sie häufig in Konflikte, ließ sie auch unsachlich werden, was die meisten Freunde und Genossen, die sie kannten, an ihr mochten und tolerierten, denn sie war uneigennützig in ihrer Kampfbereitschaft bis zur Selbstverleugnung.
Maxie Wander ist 1933 in Wien geboren, Kind einer Arbeiterfamilie, und aufgewachsen in Hernals, einem der »roten« Vorstadtbezirke Wiens. Ihr Denken und Handeln wurde geprägt von der Solidarität der Bewohner der »Gemeindehäuser« unter dem Terror der Nazizeit. Die entscheidenden Erlebnisse ihrer Kindheit spiegeln sich auch im Buch wider. Ihre Eltern wie auch andere Mitglieder der Familie arbeiteten illegal für die kommunistische Partei Österreichs, ein Fakt, der den Kindern bis 1945 verborgen bleiben mußte, sie jedoch fürs Leben vorbereitet hat. Der kämpferische Geist der dreißiger Jahre (aus der Zeit der Illegalität) hat Maxie Wander nie verlassen, ihre »Tagebücher und Briefe« bezeugen es.
Buchanfang:
VORBEMERKUNG
Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, daß die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind. Zu leben bedeutet, jede Minute geboren zu werden. Der Tod tritt ein, wenn die Geburt aufhört.
Erich Fromm
Maxie Wander hat uns mehrere tausend Briefe und Tagebuchseiten hinterlassen, die ich selbst noch nicht alle kenne. Keine literarischen Sensationen erwarten uns – sie hat das alles nicht für die Öffentlichkeit geschrieben – und keine Offenbarungen, sondern der merkwürdige Werdegang eines einfachen Mädchens, der erfüllt ist von der Leidenschaft zu erkennen, was das Leben ist und was es sein könnte. – Wenn wir von dem obenstehenden Motto ausgehen, das Maxie Wander für einen Briefroman, den sie irgend einmal beginnen wollte, gewählt hat, dann ist sie nicht gestorben, mehr noch, ihre »Geburt« war nicht nur ein dauernder Vorgang zeit ihres Lebens, er hält weiter an, wir wissen nicht, wo er enden wird.
Das ist ein Buch, das keinerlei Kommentars bedarf, wer es liest, mag lange dran zu denken und zu arbeiten haben, mit dem Kopf, mit dem Herzen, mit allen fünf Sinnen und auch mit dem sechsten Sinn, jenem Stück Irrationalen, Märchenhaften, Phantastischen, dem sie nachspürt in den kleinen Dingen des Alltags und in dem engen Dasein kleiner Leute, die sie liebte. Ihr Leben war oft sehr glücklich, aber auch zerrissen von Irrtum und Traurigkeit. In vielen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen klagt sie sich selbst an und ist verzweifelt über ihr Versagen. Noch habe ich es nicht gewagt, diese Briefe zu zeigen, in welchen sie sich bis zur Selbstzerfleischung zu ergründen sucht. Für dieses Buch mußte ich eine Auswahl treffen. Und ich habe gekürzt und umgestellt, wo es mir notwendig erschien, ohne es im einzelnen für den Leser anzumerken.
Maxie Wander hat den Widerhall ihres ersten Buches »Guten Morgen, du Schöne« noch erlebt und war verblüfft davon. Tausende hatten es in kurzer Zeit gelesen, von einigen Hundert erhielt sie Nachricht über die Erregung, die sie bei ihnen erzeugt hatte. Ich möchte mit einem Satz schließen, den ich vor vielen Jahren für sie geschrieben habe: »Wenn Du einem Menschen begegnest, soll er mit einem Lächeln weiter-gehen, und sein Puls soll um drei Grade stärker schlagen, weil Du ihm eine Ahnung von seinen verborgenen Kräften und den in ihm schlummernden Ideen verschafft hast!«
Wir alle werden mit einem Lächeln weitergehen und mit jenem Pochen in den Adern, das sie uns bereitet hat.
Fred Wander
Mai 1978
Herausgegeben von Fred Wander
Schutzumschlag: Marina Lachermund
Buchverlag Der Morgen Berlin
1. Auflage 1979
2. Auflage (1979)
3. Auflage 1980
4. Auflage 1981
5. Auflage 1982
6. Auflage 1983
7. Auflage 1984
8. Auflage 1987
9. Auflage 1988
10. Auflage 1990
weitere Ausgaben
Maxie Wander hat sich, auch über die Grenzen unseres Landes hinaus, einen Namen gemacht mit ihren Frauenporträts "Guten Morgen, du Schöne". Ihre seltene Begabung bestand darin, andere zu bewegen, bisher Ungewußtes und Unausgesprochenes, Verdrängtes und Tabuisiertes zur Sprache zu bringen. Mit welcher Konsequenz sie selbst dazu fähig war, zeigen ihre "Tagebücher und Briefe": intimste Äußerungen, die in ihrer menschlichen Ausstrahlung deshalb besonders berühren, weil sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.Maxie Wander starb vierundvierzigjährig an Krebs. Mit den aus dem Nachlaß zusammengestellten Aufzeichnungen wird dem Leser nach den Frauenprotokollen das Selbstprotokoll der Autorin in die Hand gegeben. Die Auskünfte der Maxi Wander, so persönlich sie sein mögen, sind mehr als die Geschichte einer Kranken, die nicht kapitulieren wollte. Ihre Fragen nach menschlicher Verantwortung und Moral treffen zentrale Momente unserer Existenz. Zwischen Selbstzweifel und Hoffnung äußern sich ein ungebrochenes Interesse an der Welt und den Menschen, Trauer über gezähmte Ansprüche, Empörung über freiwillige Unmündigkeit, eine starke ursprüngliche Lebensbejahung. Dieses Buch, in dem Krankheit und Tod den Maßstab zur Bewertung des Lebens setzen, ist eine Herausforderung an uns.
Einbandgestaltung: Gerhard Kruschel
Lizenz des Buchverlag Der Morgen, Berlin
Reihe: bb; 471
1. Auflage 1981
2. Auflage 1982
3. Auflage 1990
Ein sehr schönes, bewegendes Buch.
AntwortenLöschenIch muss sie jetzt endlich mal lesen. Dieses Buch habe ich ja jetzt erst bekommen, aber zum Beispiel "Guten Morgen, du Schöne" steht schon lange ungelesen im Regal.
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