15 Januar 2021

Gisela Kraft: Katze und Derwisch


 

Was ist das, ein Derwisch?
Einer, der sucht, den es umtreibt, von Bleibe zu Bleibe.

Wen oder was sucht er, der Derwisch?
Den Sinn. Den Geliebten.

Wer soll das sein, der Geliebte?
Schwierig zu sagen. Er ist niemals gesehen worden. Bücher und Mütter berichten von ihm.

Stellt der Geliebte Bedingungen?
Ja. Loslassen, weitergehen. Singen. Sich nützlich machen.

Wie denn - singen?
In einfacher Weise und klaren Worten. Vom Aufstehn am Morgen. Vom Lächeln am Abend. Von der Erddrehung. Geheimnisse braucht er nicht, er ist ja geheim.

Gibt es einen Fehler, den der Geliebte vergibt?
Verwechselt werden - mit jedem Gegenstand am Weg.

Aber was soll, bei alledem, noch die Katze?
Den Geliebten anzweifeln. Die Reise verschlafen. Ihr Fell herleihen. Nachrichten schnurren.

Und am Ende?
Es gibt keins. Nur Dauer, Wiederholung, Neuanfang.

Eine letzte Frage: Könnten Sie sich vorstellen, selber Derwisch zu sein?
Was sonst, da ich Mensch bin.

G. K


Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1985
Edition Neue Texte

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