12 Januar 2021

Helga Königsdorf: Respektloser Umgang


 "Ich habe eine Botschaft empfangen. Sie mir zu eigen gemacht. Sie neu geprägt. Einmalig, unverwechselbar, weil jeder Mensch etwas Einmaliges ist. Und ich gebe sie weiter. Hinterlasse in den Menschen um mich eine Spur, die vereint mit all den anderen Spuren erneut Botschaft wird, auch wenn mein Name längst vergessen ist.
"Respektloser Umgang" erzählt von der fiktiven Begegnung zweier Frauen. Die eine - die Atomphysikerin Lise Meitner - wurde durch den Faschismus um die Früchte ihrer Lebensarbeit gebracht. Die andere - die Ich-Erzählerin - wird auf der Höhe des Lebens durch eine tückische Krankheit aus der wissenschaftlichen Arbeit gerissen und hat sich auf den zunehmenden Verfall der physischen und psychischen Kräfte einzurichten. Die Erfahrungen mit der Krankheit führen nicht in die Isolation, sondern wecken im Gegenteil den Wunsch nach Einordnung in die geschichtliche Dimension. Der Lebensanspruch des einzelnen wird zum Gleichnis für den Lebensanspruch der Menschheit.

Zitate
"Meine Großmutter ist verrückt geworden. Jedenfalls wurde es so erzählt. Das Problem wurde in einer zuständigen Klinik gelöst. Ein Teil der größeren, ins Auge gefaßten Endlösung. Denn meine Großmutter war Jüdin."

"Ich bin geschichtslos. Zu spät geboren, um mitschuldig zu werden. Zu betroffen, um Mitschuld nachträglich für möglich zu halten. Ohne Identifikation mit Vergangenheit."

"Nur durch die Relativierung des eigenen Ichs ist die eigene Existenz noch ertragbar."

"Dieses Nützlichkeitsdenken. Immer wird bei uns moralische Haltung daraufhin abgeklopft, ob etwas dabei herausspringt."

"Aber gefährlicher ist der Glaube, wir kämen ohne neue Erkenntnis aus. Unsere materielle Welt ist begrenzt. Irgendwann - sehr bald schon - werden diese Grenzen erreicht sein. Wenn wir dafür nicht gerüstet sind, gerät die Welt aus den Fugen. Dann geht es um die nackte Existenz. Um Luft, Wasser und Energie. Der Kampf würde mörderisch sein, überließe man die Vorkehrungen jenen, die heute bereits verkünden, die Lösung bestünde in Überlegenheit der Waffen und dem Ausschalten der Konkurrenten. Dazu muß es eine Alternative geben."

Autorin

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1. Auflage 1986
Edition Neue Texte

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