07 Januar 2021

Paul Elgers: Jungfrau Johanna, Teil 1 und 2



Der November des Jahres 1428 brachte der Erde Frankreichs viel Regen, das Kriegsgerassel erstickte im Morast. Die nördliche Hälfte des Landes war von den Engländern besetzt, die den siebenjährigen Lancaster-König Heinrich VI. in Paris anerkannten. Das reiche und mächtige Fürstentum Burgund hatte sich mit ihnen verbündet. Ein zweiter König, der fünfundzwanzigjährige Karl VII. aus dem Hause Valois, residierte kraft- und machtlos auf seinem Schloss zu Bourges. Die eigene Mutter, Königin-Witwe Isabeau, hatte ihn zum Bastard erklärt. Meistens spielte er Schach, betete viel und hatte Angst vor schlaflosen Nächten. Seine oft besiegten Truppen hatten sich auf Orléans zurückgezogen, das seit Oktober von einer starken Streitmacht der Engländer und Burgunder belagert wurde. In diesem November schien die Lage verzweifelt für die Partei Karls. Seine Soldaten liefen zum Feind über und trieben sich in zügellosen Haufen im Lande umher. Die Ernte war schlecht gewesen. Das Geld war entwertet. Handel und Wandel stockten. Das Volk darbte und litt. Nur wenige glaubten an Rettung und Sieg.

Ein Bauernmädchen, siebzehnjährig, reitet in den Krieg. Hinter sich lässt sie die stillen Fluren des Heimatdorfes Domremy am Ufer der Maas. Mit sich nimmt sie die große Vision eines von seinen Feinden befreiten Frankreichs. Denkt, glaubt und handelt Johanna d’Arc völlig auf sich gestellt, als sie sich anschickt, den schwachen, feigen Dauphin Karl zum König zu krönen, die englischen Landräuber zu vertreiben? Oder ist sie eine Marionette im Spiel und Gegenspiel feudaler Gruppen, denen es nur um Macht und Besitz geht?

Der geschichtskundige Autor lässt keinen Zweifel: Hinter dem Bauernmädchen stehen einflussreiche höfische Kreise, vor allem Yolande von Aragon, die Schwiegermutter des Dauphins, und deren Beichtvater Gérard Machet. Aber Johanna, Männerrüstung tragend, ihr Schwert und ihr Banner schwingend, lässt sich nicht willenlos gängeln. Wenn sie die Stimmen ihrer Engel hört, hört sie in Wahrheit die Stimme des eigenen Herzens, die Stimme des französischen Volkes, das den Krieg gewinnen will, um den Frieden zu gewinnen. Johanna kämpft für das Volk, und das Volk kämpft für Johanna. In seiner ganzen bunten Vielfalt tritt dieses Volk in Aktion: Bauern und Bürger, Söldner und Mönche, die Landvertriebenen in den Vorstädten und Heerlagern, die Handwerker und Kaufleute. Wohl ist Johannas Weg widerspruchsvoll vom ersten Ausritt an, denn wie sollte das Mädchen die Ränke jener durchschauen, die mit dem Landesfeind paktieren, weil sie die Masse der Armen mehr fürchten als England und Burgund? Doch zunächst ist dieser Weg erfolgreich. Im Mai 1429 befreit Johanna das belagerte Orléans, und im Juli reitet sie dem Dauphin voran – der Krönungsstadt Reims entgegen …

Am 17. Juli 1429 wird Karl VII. in Reims zum König Frankreichs gesalbt und gekrönt. Noch beherrscht das machtgierige England, mit dem reichen Burgund verbündet, den Norden des Landes. Erfolglos der Sturm auf Paris, zermürbend der nicht endende Krieg, aussichtslos die Hoffnung, Hofadel und Hochklerus für die Sache des einfachen Volkes zu gewinnen. 1430 fällt Johanna, beargwöhnt und verraten von falschen Freunden, in die Hand ihrer Feinde. Im Jahr darauf wird sie nach qualvoller Haft und schamloser Justiz-Farce als „Ketzerin und Hexe“ zum Tod verurteilt.

Verbrannte das, was sterblich an Johanna war, am 30. Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen der Stadt Rouen? Wurde sie in letzter Stunde gerettet? Verdämmerte sie einige Jahre in einem geheimen Versteck? Tauchte 1436 nur eine „falsche Jungfrau“ auf – oder sie selbst? Fristete sie ein tragikomisches Dasein, bitterer fast, als der Tod in den Flammen gewesen wäre? Wie dem auch sein möge: Das Volk Frankreichs wuchs zur Nation, Johanna hatte nicht umsonst geglaubt, gekämpft und gelitten.

Das Bauernmädchen aus Domremy ist in die Geschichte ihres Volkes und der Menschheit eingegangen. Doch seit über einem halben Jahrtausend befleißigen sich jene dunklen Kräfte, die Johanna zu Lebzeiten Fallen stellten und Schlingen legten, die sehr irdische Volksheldin zur überirdischen „Heiligen“ zu manipulieren. Dieser historische Roman, reich an äußerer und innerer Spannung, hat ein bedeutendes Anliegen: Er überzeugt uns, dass nicht der Himmel, sondern Frankreichs Erde die Heimat Johannas gewesen ist.

Greifenverlag zu Rudolstadt, 3. Auflage, 1975
Mit Illustrationen von Horst Hausotte und einer Karte von Helmut Fiege.

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