02 März 2021

Peter Kaiser, Norbert Moc und Heinz Peter Zierholz: Nach Spandow bis zur Beßerung! – Gegen König, Spinnherr und Bankier – ein Pitaval aus 200 Jahren deutscher Geschichte


 Dieses Buch, das vergessene Einzelschicksale aus 200 Jahren deutscher Geschichte lebendig macht, ist kein Pitaval im üblichen Sinne des Wortes, keine Sammlung merkwürdiger und außergewöhnlicher Kriminalfälle. Wir begegnen weder Mördern und Meuchlern, noch Totschlägern und Brandstiftern. Und dennoch sind die Fälle dieses Buches merkwürdig und ungeheuerlich genug. Oder ist es vielleicht nicht ungeheuerlich, wenn ein harmloser Friedhofsgärtner, der nach getaner Arbeit an einem Junitage des Jahres 1730 an den Kasernen des Glasenappschen Regiments vorüberkommt, wenig später auf Befehl des Generals von Glasenapp an einen Ast geknüpft wird – anstelle eines Gesellen, der den ersten Aufstand der Berliner Maurer anführte und der den Häschern glücklich entkam? Wie anders als merkwürdig soll man den Einfall eines Bauunternehmers bezeichnen, der eines Tages das Lohnbüro in der Schankwirtschaft seines Schwagers einrichtet? Dass es sich dabei jedoch beileibe nicht nur um die kuriose Eingebung eines Witzboldes handelt, sondern um den wohlüberlegten Raubzug auf das sauer verdiente Geld der Arbeitsleute, erfährt der Leser in der Geschichte „Die Kneipe war das Lohnbüro“. Außergewöhnlich in seiner Tragik ist das Schicksal jenes armen Spinnmädchens, das unschuldig und voller Hoffnung in die Residenzstadt Preußens kommt und das schließlich, geschändet an Leib und Seele, sein Leben in einem Irrenhaus beschließen muss. Wer sollte nicht empört sein und mit dem jungen Webergesellen leiden, der gegen die Lohnbeschneidungspraktiken des allgewaltigen Berliner Lagerhauses aufbegehrt, der dann in allergrößter Not ein paar Scheite Holz stiehlt und dafür auf Befehl des Königs „bis zur Beßerung“, das heißt bis an sein Lebensende, in der „Festung Spandow“ in Ketten gelegt wird?


Dieses Buch ist ein Denkmal für die „kleinen Leute“, die es nicht verdienen, vergessen zu werden, die in finsteren Jahren deutscher Vergangenheit ihre winzigen Rechte und ihr mageres Glück gegen Willkür und Despotismus verteidigten, unter Opfern und Verlusten zwar, aber mit ungebrochenem Mut und mit Vertrauen und Glauben in ihre eigene Kraft.

Große Klassenschlachten haben immer ihre Schilderer gefunden. Aber es gibt auch das tagtägliche zähe Miteinanderringen, von dem wir Heutigen viel weniger wissen. Es ist das Verdienst dieses Buches, dass es sich gerade dieser Seite des Klassenkampfes annimmt.

Verlag Tribüne, Berlin, 1. Auflage, 1983
Illustrationen von Werner Ruhner.

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