12 Mai 2021

Heinrich Böll: Mein trauriges Gesicht – Humoresken und Satiren


 HEINRICH BÖLL (geb. 1917):

Meine Muse steht an der Ecke /
billig gibt sie jedermann /
was ich nicht will /
wenn sie fröhlich ist /
schenkt sie mir was ich möchte /
selten hab ich sie fröhlich gesehen. //

Meine Muse ist eine Nonne /
im dunklen Haus /
hinter doppeltem Gitter /
legt sie bei ihrem Geliebten /
ein Wort für mich ein. //

Meine Muse arbeitet in der Fabrik /
wenn sie Feierabend hat /
will sie mit mir tanzen gehn /
Feierabend /
ist für mich keine Zeit. //

Meine Muse ist alt /
sie klopft mir auf die Finger /
kreischt mit ledernem Mund /
umsonst Narr /
Narr umsonst. //

Meine Muse ist eine Hausfrau /
nicht Leinen /
Worte hat sie im Schrank /
Selten öffnet sie die Türen /
und gibt mir eins aus. //

Meine Muse hat Aussatz /
wie ich /
wir küssen einander /
den Schnee von den Lippen /
erklären einander für rein. //

Meine Muse ist eine Deutsche /

sie gibt keinen Schutz /
nur wenn ich in Drachenblut bade /
legt sie die Hand mir aufs Herz /
so bleib ich verwundbar.

Reclams Universalbibliothek, Nr. 582, 1. Auflage, 1974

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