19 August 2021

Steffie Spira-Ruschin: Trab der Schaukelpferde

Wenn eine Schauspielerin, die aus einer Schauspielerfamilie stammt, bereits als Kind auf der Bühne stand, mit sechzehn auf die Schauspielschule kam und mit siebzehn das erste Engagement erhielt, wenn diese Schauspielerin ihr geschultes Gedächtnis befragt und Erinnerungen erzählt, so werden Theatergeschichten jeglicher Art nicht fehlen. Doch die Anekdoten, die Begegnungen mit den Kollegen auf der Bühne und hinter den Kulissen – mit Heinrich George oder Alexander Granach, mit Elisabeth Bergner, Helene Weigel und vielen anderen – und auch die eigenen Rollen spielen bei Steffie Spira eher beiläufig mit.

Für sie, die sich mit achtzehn in der Gewerkschaft der Schauspieler engagierte, mit dreiundzwanzig der KPD beitrat, bedeuteten die Bretter, auf denen sie voller Spielfreude und mit aller Leidenschaft stand, dennoch nicht die ganze Welt. Schon in jungen Jahren ein politisch denkender, ein politisch handelnder Mensch, wollte sie zuerst wirken mit ihrer Kunst in ihrer Zeit. Bis zum Februar 1933 spielte sie mit der „Truppe 1931“ gegen den Faschismus gerichtetes politisches Theater. Mitte März mußte sie, knapp fünfundzwanzig Jahre alt, emigrieren.

Steffie Spira schreibt keine Memoiren, sie erzählt ein paar Erinnerungen. An Kindheit und Jugend. An das Leben mit Günter Ruschin. An acht Jahre Berliner Theater. An vierzehn Jahre Exil. Eine Schauspielerin erzählt: Szenen und Abläufe. Immer geht es bei ihr dramatisch zu. Örtlichkeiten, Umstände, Details bekommen Farbe und Geruch der Bühne, Farbe und Geruch von Zürich, Paris, Marseille, Mexiko-Stadt.

Erinnerungen an Paris: die Arbeit mit dem SDS, das Kabarett „Die Laterne“, die Brecht-Uraufführungen, den bal négre, die Sorge ums tägliche Brot und um den 1933 geborenen Sohn. Erinnerungen an das unholde Frankreich: die Trennung von Mann und Kind, das Gefängnis La Roquette, das Frauenlager Rieucros, die Furcht vor der Auslieferung, die Visa-Jagd in Marseille, die Flucht der Familie über die Pyrenäen. Erinnerungen an Mexiko: das freundliche Gastland, den Heinrich-Heine-Klub, die Truppe aus sechs deutschsprachigen Berufsschauspielern, die zehn Inszenierungen, die fremden Landschaften, die exotischen Früchte, die Welt der Indios. Ereignisse, Erlebnisse, Eindrücke und viele, viele Freundschaften: die älteste und engste mit Anna Seghers, von der Steffie Spira ganz eigen und lapidar berichtet.

Paßt das Bild, das sie für den Titel wählt, auf solch ein Leben? 1947, während der Heimreise auf einem sowjetischen Frachtschiff, stellt Steffie Spira die Frage, ob nun der Trab der Schaukelpferde zu Ende geht, und sie zitiert das Motto ihres Buches: Wir, so gut es gelang, haben das Unsre getan.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1984

 

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