08 Dezember 2022

Karl Emil Franzos: Galizische Erzählungen

Karl Emil Franzos ist einer jener Autoren, deren Werk in besonderer Weise von ihrer Biographie geprägt wurde. Seine Geburt in einem ukrainischen Städtchen, die Jugend in der von den verschiedensten Volksgruppen bewohnten Stadt Czernowitz, die Erziehung, die von deutscher Kultur, besonders von den Idealen der Aufklärung und Klassik, beeinflußt war - all das blieb bestimmend für die Art, in der Franzos die Welt erlebte und dichterisch gestaltete. Durch seine jüdische Abstammung von ersehnten Berufswegen ausgeschlossen, wurde er zunächst Journalist, Reiseschriftsteller und schließlich einer der besten Schilderer jener abenteuerlichen, schon fast exotischen Welt, die er selbst "Halbasien" nannte. Das Leben der dort aufeinandertreffenden Völker, die mannigfachen Sprach- und Religionsgemeinschaften angehörten, faszinierte ihn immer wieder und fand Niederschlag in Romanen und Zeitschriftenartikeln, Feuilletons, Novellen und "Kulturbildern". Genaue Kenntnis der geographischen und historischen Fakten waren darin gepaart mit einer tiefen menschlichen Anteilnahme für die Leidenden und Geächteten. 

In den beiden Erzählungen dieses Bandes werden mit großer Sympathie für ihre Helden zwei solcher Schicksale geschildert. Der jüdische Schankpächter Leib, durch behördliche Willkür mit dem Namen Weihnachtskuchen ausgestattet, und seine einzige Tochter werden Opfer der unüberwindlichen Schranken, die zwischen Juden und Christen errichtet worden sind. Der Ausgestoßene Matko, der jahrzehntelang stumm in den Wäldern der Karpaten haust, findet erst im Tod wieder Aufnahme in die dörfliche Gemeinschaft und Versöhnung mit seinem schrecklichen Los. Das tragische Ende dieser Menschen, deren Zwänge und Vorurteile das erhoffte bescheidene Glück nicht gestatten, ist erschütternde Anklage der Verhältnisse. Franzos verstand sein Werk als einen Aufruf zu ihrer Veränderung.

Aufbau-Verlag Berlin und Weimar
1. Auflage 1980
bb Nr. 449
 

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