25 April 2023

Francisca Stoenescu: Hü, Pferdchen, lauf!

Buchanfang:
DER KRANICH
Ein Junge, der am Ufer eines Sees entlangging, blieb verwundert stehen, als er einen Kranich im Grase hocken sah.
„Ich bin sehr müde“, seufzte der Kranich. „Heute früh noch bin ich über den schweigsamen Wald geflogen. Weil er in dichten Nebel eingehüllt war, bin ich etwas höher geflogen, vielleicht zu hoch. Sicherlich waren die Wolken für meine Flügel zu schwer. Bis zum Abend muß ich meine Kameraden wieder einholen. Wir sind nämlich auf dem Flug in ein wärmeres Land.“
„Wenn ich groß bin, baue ich mir ein weißes Schiff und mache auch eine weite Reise“, sagte der Knabe und hockte sich nachdenklich neben den Kranich ins Gras.
„Es ist schwer, allein zu reisen; ich fliege mit den andern Kranichen im Zug, und auch das ist nicht leicht.“
„Ich dachte immer, im Herbst verstecken sich die Vögel irgendwo in den Wolken und im Frühjahr regnet es dann Vögel. Ist das nicht lustig?“ lachte der Junge. „Das habe ich aber nur geglaubt, solange ich klein war. Bei mir zu Haus gibt's Vorhänge mit roten Fransen, die rauschen manchmal so, wie das Gras jetzt rauscht.“
Der Wind tanzte fröhlich durchs Gras, wirbelte um beide herum und lachte.
„Voriges Jahr war ich auch noch klein, ich hatte kaum fliegen gelernt. Ich war noch so dumm, daß ich mich an jeder Wolke stieß, und wenn der Nebel kam, schloß ich vor Furcht die Augen.“
„Der Nebel hat dich sicher erschreckt, du warst ja noch klein. Zu Haus hab ich einen Schmetterling in einer Schachtel. Den will ich mit auf die Reise nehmen, er ist so schön bunt.“
Das Gras raschelte, als stiege eine große Heiterkeit daraus auf, und die Wörter klangen wie das Rauschen der roten Fransen im Haus des Jungen.
„Seit ich groß bin, fliege ich am liebsten ganz hoch. Ich breite meine Flügel aus, so daß ich den Wind spüren kann, und lasse mich treiben... Ich muß an deinen Schmetterling denken; so in einer Schachtel gefangen zu sein... Dann könnte ich gar nicht mehr fliegen.“
„Tatsächlich, mein Schmetterling kann nicht mehr fliegen', dachte der Junge, 'dabei war er so leicht, daß er beim kleinsten Windhauch aufflatterte.'
„Ich lasse gern Drachen steigen. Wenn ich zuschau, wie er ganz oben in den Wolken schwebt, spüre auch ich den Wind, so als ob er mir ins Gesicht bliese. Ich kenne ein Spiel mit dem Drachen, wenn du willst...“
„Ich muß leider zurück zu meinen Kameraden, sie sind schon im Aufbruch.“
Die Sonne streute Lichtflecken auf das vom Wind zerzauste Gras. Ein kühler Lufthauch wehte vom See den herben Geruch von Wucherblümchen herüber.


Inhalt:
Der Kranich .....5
Der Unfall .....8
Ein Mädchen schneidet eine Rose aus .....11
Die Schaukel .....13
Hü, Pferdchen, lauf! .....15
Das Tor blieb offen .....19
Zehn Züge fahren in die Ferien .....22
Ein Korb voll Kuchen .....25
Vor dem Fernseher .....29
Das Mädchen und die Schatten .....30
Das Fröschlein und die Wasserratte .....32
Der Drache .....33
Das neue Spiel .....36
Fabrikbesichtigung .....39
Die Vergeßlichen .....41
Seltsame Berufe .....45
Das Mäuschen .....46
Ein bißchen Traurigkeit .....48
Die Glasscherbe .....51
Goldschuppe .....54
Ein königlicher Berater für den Löwen .....56
Der Töpfer .....57
Der Störenfried .....58
Frühjahr .....59
Der Freundschaftsbeweis .....62
Der Apfel .....65
Die scharfe Schere .....66
Der Wundervogel .....67
Ein kostbares Geschenk .....70
Die Mauer .....72
Ein kleiner Handel .....73
Die Nachtigall singt .....77
Die optische Täuschung .....78
Eins, zwei, vier .. .....80
Der Fuchs, der so schlau sein wollte .....82
Der Schatten .....85
Das Kind rief die Sonne .....87
Die Seifenblase .....87
Das weiße Täubchen .....88
Ein Bärchen, ein Eichkätzchen und ein Fuchs .....89
Das Geheimnis .....91
Freunde .....94
Das Ende einer Geschichte .....97
Fahrräder .....100
Der Start .....103
Der Ausflug .....106
Eine Entdeckung .....109

Illustrationen und Einbandgestaltung: GYÖRGY MIHÁLY
Aus dem Rumänischen von Gudrun Bossert
Originalausgabe: Francisca Stoenescu, Aleargă, minzule; Editura Ion Creangă,Bucureşti, 1977

Auflage 1982, ION CREANGA VERLAG, BUKAREST


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