26 Mai 2023

Graham Greene: Der menschliche Faktor

In der Londoner Zentrale des Secret Intelligence Service gibt es eine undichte Stelle. Noch ahnt niemand, daß Maurice Castle, seit über dreißig Jahren Mitarbeiter der Sektion Afrika, Informationen an den sowjetischen Sicherheitsdienst weiterleitet. Erst als ein unschuldiger Mitarbeiter Castles auf stille Art beseitigt wird, begreift er die Tragweite seines Handelns und beschließt, sofort auszusteigen. Doch als ihm das Projekt »Onkel Remus« bekannt wird, verrät er dieses teuflische Komplott umgehend an die sowjetische Aufklärung und trifft damit die konsequenteste Entscheidung seines Lebens. Was zuvor aus individueller Dankbarkeit gegenüber einem südafrikanischen Kommunisten geschah, der Castles schwarzhäutige Geliebte unter Einsatz des eigenen Lebens außer Landes brachte, wird jetzt zu einem verantwortungsbewußten politischen Willensakt. Er gerät in tödliche Bedrängnis, aus der ihn nur eine gewagte Aktion zu befreien vermag.

Über den Autor
Der »menschliche Faktor«, im Kontext mit der Arbeit der im Dunkel wirkenden Geheimdienste gesehen, ist auf den ersten Blick ein für Graham Greene typisches Paradoxon, das sich im Verlauf der Handlung dieses spannungsvollen, realistischen Romans als so paradox nicht erweist. Der menschliche Faktor: Das ist der Held dieses Buches, Maurice Castle, der als loyaler britischer Secret-Service-Experte mit den Apartheidgesetzen Südafrikas in Konflikt gerät; das ist der südafrikanische Kommunist Carson, der sein Leben bedenkenlos für andere einsetzt; das ist Boris, ein polnischer Aufklärer mit Herz und Verständnis. Der menschliche Faktor: Das ist für Graham Greene – wie aus allen seinen »Brennpunktromanen« ersichtlich die lebensbejahende Aktion, das selbstlose, verantwortungsbewußte Eintreten für den Nächsten; das ist sein unaufhörliches Bemühen, den »Zwiespalt der Seele« zu ergründen und zur Überwindung ideologischer und religiöser Schranken beizutragen. Bereits in seinem Vietnamroman »Der stille Amerikaner« (1955) hatte der Autor die gültige Maxime formuliert: »Früher oder später muß man Partei ergreifen, wenn man ein Mensch bleiben will.« Maurice Castle entscheidet sich für die Menschlichkeit, um sich selbst treu zu bleiben und um der ausgleichenden Gerechtigkeit willen angesichts eines verderbenbringenden imperialistischen Komplotts. Dabei ist seine Parteinahme für den »Kommunismus« keineswegs frei von Vorurteilen, wie die des Autors selbst. Aber Greenes Schlüsselthemen sind nicht auf den Ideologien an sich gegründet, sondern sie sind geprägt von der Ambivalenz des Lebens, von dem moralischen Konflikt zwischen Loyalität und Integrität, Überzeugung und Notwendigkeit, Schuld und Wiedergutmachung, Widersinn und Vernunft. Seine Helden sind stets Täter und Opfer zugleich. Auf seiner jahrzehntelangen Suche nach dem »menschlichen Faktor« im Leben hat er die Faszination der kommunistischen Idee erkannt und bewertet sie als hoffnungsverheißende Alternative für eine vom Zusammenbruch bedrohte Welt.


Aus dem Englischen von Luise Wasserthal-Zuccari und Hans W. Polak
Einbandentwurf: Gudrun Olthoff

Verlag Volk und Welt, Berlin

1. Auflage 1986
2. Auflage 1987
3. Auflage 1989

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