19 Mai 2023

Tobias Smollett: Die Abenteuer Roderich Randoms

Roderich Random ist ein Held, der stets vor neuen Schwierigkeiten steht. Die Hürden jedoch, die sich vor ihm aufbauen, nimmt er mit Humor und Sarkasmus. – Smollett erzählt mitreißend und mit Tempo. Was er sagt, ist manchmal derb. Immer aber sagt er die Wahrheit.

Klappentext
Ein Leben in guten, gesicherten Verhältnissen stand ihm bevor: Roderich Random, Sohn einer begüterten schottischen Familie. Aber dann kam alles ganz anders. Eine Familienintrige beraubt ihn seines Erbes, und Roderich Random steht plötzlich auf der Straße, mit nichts in der Tasche, aber mit dem festen Vorsatz im Kopf, so oder so sein Glück zu machen. Er versucht es mit diesem Beruf und mit jenem, wird schließlich Schiffsarzt, nimmt an mehreren Kriegen teil und macht eine schlimme Erfahrung nach der anderen. Er verliert, was er sich erwirbt, nur seinen Humor erhält er sich. Nach den Jahren bei der englischen Flotte gerät er in Schauspieler- und Literatenkreise, besteht die verschiedensten Liebesaffären genauso gut wie die Haft im Schuldgefängnis. Und endlich, nach vielen Prüfungen, findet er doch zu dauerhaftem Liebesglück und zu Wohlstand.

Buchanfang
APOLOG
Ein junger Maler verfertigte in einer Anwandlung von lustiger Laune eine Art Genrebild, worauf sich ein Bär, eine Eule, ein Affe und ein Esel befanden. Um sein Gemälde auffallender, launiger und moralischer zu machen, charakterisierte er jede Figur durch ein Emblem aus dem Menschenleben.
Dem Petz gab er die Tracht und die Stellung eines alten, zahnlosen und betrunkenen Soldaten; der Uhu hockte auf dem Henkel eines Kaffeetopfs mit einer Brille auf der Nase und schien Zeitung zu lesen; und der Esel saß, mit einer sehr stattlichen Allongeperücke ausgeschmückt (die dennoch seine langen Ohren nicht verbergen konnte), einem Affen Modell, der mit Malergerätschaften versehen war.
Die possierliche Gruppe machte lachen und erhielt allgemeinen Beifall, bis ein arger Schalk den Wink fallen ließ, das Ganze sei ein Schmähwerk auf die Freunde des Künstlers. Kaum war diese Äußerung laut geworden, als eben die Leute, die vorher dem Stücke Beifall gegeben hatten, unruhig zu werden begannen, ja sich sogar einbildeten, sie wären mit den Figuren im Gemälde gemeint.
Unter anderen erschien ein würdiger bejahrter Mann, der in der Armee mit vielem Ruhm gedient hatte, höchst aufgebracht über die vermeinte Beleidigung in dem Logis des Malers, den er zu Hause fand. „Hör Er, Herr Affenkopf“, sagte er zu ihm, „weiß Er wohl, daß ich nicht übel willens bin, Ihm zu zeigen, daß Bruder Petz wohl seine Zähne, aber nicht seine Tatzen verloren hat? So betrunken bin ich noch nicht, um nicht Seine Unverschämtheit einzusehen. Beim Element! die Kiefer ohne Gebiß sind 'n verdammt skandalöses Schmähwerk. Aber bildet Euch nicht ein, daß, weil ich alle Hauer verloren habe, nicht mehr um mich herumhauen kann.“
Hier wurde er durch die Ankunft eines gelehrten Arztes unterbrochen, der mit wütendem Blick auf den Angeklagten losstürzte und rief: „Weil der Esel große Ohren hat, so soll der Pavian kleinere haben, meint Ihr etwa? Nur keine Ausflüchte und Winkelzüge gesucht. Beim Barte des Äskulap! Da ist kein Haar in dieser Perücke, das nicht zum Zeugnis dafür aufstehen wird, daß du mich persönlich gemißhandelt hast. – Sehen Sie nur, Herr Hauptmann, wie das armselige Wichtchen die Locken ganz akkurat kopiert hat. Die Farbe ist zwar freilich anders, aber ihr Bau wie auch das Toupet sind sich völlig gleich.“
Indem er dies mit mächtig lauter Kehle erwies, trat ein ehrwürdiger Ratsherr herein. Er watschelte auf den Delinquenten zu und rief: „Ich will dir Meerkatzengesicht zeigen, daß ich mehr kann als Zeitungen lesen, und zwar ohne Hilfe einer Brille. Da ist eine Handschrift von dir, Bürschchen. Hätt ich dir damals das Geld nicht vorgeschossen, so würdest du selbst einer Eule geglichen haben, da du bei Tage dein Gesicht nicht hättest zeigen dürfen, du undankbarer, ehrenschändrischer Bube!“
Umsonst erklärte der erstaunte Maler, es sei nicht im geringsten seine Absicht gewesen, irgendein Individuum zu beleidigen oder dessen Charakter zu schildern. Allein die drei Männer behaupteten, die Ähnlichkeit sei nur zu sehr in die Augen fallend, das lasse sich gar nicht ableugnen, und beschuldigten ihn der Unverschämtheit, der Bosheit und der Undankbarkeit. Da das Publikum ihr Geschrei hörte, so blieb der Hauptmann ein Petz, der Doktor ein Langohr und der Senator ein Uhu all ihr lebelang.
Christlicher Leser, ich bitte dich um Gottes Barmherzigkeit willen, erinnere dich dieses Beispiels, indes du die folgenden Bogen durchläufst, und suche nicht dir zuzueignen, was ebensogut einigen hundert Menschen zugehört. Wenn du auf einen Charakter stoßen solltest, der dich in irgendeinem nicht günstigen Lichte zeigt, so geh bei dir zu Rate und erwäge, daß ein Zug kein Gesicht ausmacht und daß, wenn du dich vielleicht durch eine unförmige Nase auszeichnest, zwanzig von deinen Nachbarn in ebendem Falle sein mögen.


Titel des englischen Originals: „The Adventures of Roderick Random“
Nach der Übersetzung von W. Chr. S. Mylius (1790), sprachlich erneuert und ergänzt
Mit einem Nachwort von Rolf Recknagel
Illustrationen von Werner Klemke

Verlag Neues Leben
[Diese Ausgabe erscheint mit freundlicher Genehmigung des Verlages Volk und Welt, Berlin]*

1. Auflage 1978

*Im Verlag Volk und Welt Berlin erschienen:
illustriert von George Cruikshank
1. Auflage 1952
2. Auflage 1954

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