21 Juli 2023

Honoré de Balzac: Die dreissig tolldreisten Geschichten - (Band I und II)

Buchanfang - Band I
ERSTES ZEHENT
PROLOG
Das ist ein stark gepfeffertes Buch, ein Buch für die Kenner kräftiger und saftiger Bissen, die vom Guten und Besten der Welt den Geschmack auf der Zunge haben, und eines für solche Zecher am Spundloch des Lebens, die schon dem unsterblichen François Rabelais, unsrem Tourainer Landsmann ewigen Angedenkens, die liebste Kumpanei und Jüngerschaft waren.
Nicht daß der Autor sich einbildet, etwas andres zu sein als ein guter Tourainer und etwas andres zu können, als den guten Gesellen dieses fetten und famosen Landes ein paar Schöpflöffel einer nicht alltäglichen Brühe zu kredenzen; – dieses Landes, das fruchtbarer ist an gehörnten und hörnerpflanzenden Spaßvögeln als irgendein Land der Welt, darunter nicht wenige sind, vor denen unser ganzes Volk salutiert und noch einige Völker der Erde mit ihm, wie der Meister Courier selig, der nun niemand mehr kitzelt, oder Meister Verville mit seinem Buch ›Wie die Welt will beschissen werden‹ und andere, die jedermann kennt, den edlen Meister Cartesius ausgenommen. Denn der war ein fast düsterer Geist und hat seine Wolkenträume und Hirngespinste höher gestellt als die guten fetten Bissen und die klaren Tropfen, also daß die Waffelbäcker und Garköche der guten Stadt Tours nichts von ihm wissen noch hören wollen und, wenn man seinen Namen nennt, ein Gesicht machen, als ob sie sagen wollten: ›Ist mir nicht vorgestellt.‹
Dieses Buch aber gehört zu den Früchten, wie die lustigsten und ausgelassensten Stunden unsrer guten alten Mönche sie hervorbrachten und wovon man hier und da in alten Klöstern und Schlössern noch Überbleibsel findet, wie in den weiland fetten Abteien Marmoustiers und Turpenay oder etwa auf Azay und Roche-Corbon und sonst in verstaubten Typotheken jovialer Chorherren und alter Edeldamen, die oft ganze Sammlungen davon lebendig mit sich herumtragen. Sie haben die gute alte Zeit gekannt, wo man noch wußte, was Lachen heißt, und man nicht gleich jemand ängstlich ansah, ob ihm nicht ein Heuwagen aus dem Munde komme, wenn's ihm herausplatzte und den Bauch schütterte, wie es heut bei den jungen Damen Sitte ist, die so gravitätisch dasitzen und deren Art zu unserm lustigen Lande paßt wie ein Nachtgeschirr auf das Haupt einer Königin. Und da das Lachen ein Privilegium des Menschen ist, daran keine andere Kreatur teilnimmt, und wir Grund genug zur Traurigkeit haben in diesen Tagen der sogenannten politischen Freiheit, also daß wir den heiligen Philisterernst, der uns überall anglotzt, nicht auch noch durch Bücher zu vermehren brauchen habe ich geglaubt, ein ganz verflucht patriotisches Werk zu tun, indem ich meinen Zeitgenossen so ein Körbchen voll Lustigkeit schenkte. Wahrhaftig, die Zeit tut mir leid. Wie ein feiner Regen rieselt die Langeweile auf uns hernieder und sickert in uns durch alle Poren mit ihrer schleimigen Feuchtigkeit, daß es kein Wunder ist, wenn alles die Gehirnerweichung kriegt und unsre alten Sitten zum Ammenmärchen werden, die Sitten von dazumal, wo uns die öffentlichen Angelegenheiten, oder wie man die Lumpereien nennen mag, nur so weit interessierten, als sie uns Stoff zu Spott und Hohngelächter gaben. Immer seltener werden sie, die alten Pantagruelisten, die keine Zeit hatten, dem König und dem lieben Gott ins Handwerk zu pfuschen, weil ihnen Lachen und Lustigsein eine wichtigere Sache dünkte; mir scheint, sie sterben aus, und so befürchte ich, daß man die genannten Überbleibsel jener ehemaligen lustigen Breviere, ich fürchte, sage ich, daß man sie verketzern, verleumden und verschimpfieren, daß man sie anspeien und mit Kot bewerfen, daß man sie bepissen und beschmeißen wird, was einem Menschen, der noch Respekt hat vor ehrwürdigen Trümmern und Altertümern, nicht Wurscht sein kann und nicht Schwartenmagen.
Wollt auch bedenken, ihr gelbsüchtig-galligen und gar nicht gallischen Kritiker, Phrasendrescher und Wortverdreher, die ihr nichts könnt, als die Aspirationen und Inspirationen anderer zu verdächtigen, wollet bedenken, sage ich, daß wir nur als Kinder lachen und daß uns mit der Zeit das Lachen ausgeht wie einer Lampe das Öl. Daraus könnt ihr sehen, daß man zum Lachen unschuldig und reinen Herzens sein muß. Wo ihr aber zusammengekniffene Lippen, hochgezogene Brauen, gerunzelte Stirnen, kurz, finstere Gesichter seht, da dürft ihr sicher sein, daß auch das Herz finster ist und voll Unrat. Nehmt an, dieses Buch sei eine Bildgruppe oder Statue; wollt ihr denn, daß der Autor sie verstümmeln und ihr da und dort ihre natürliche Beschaffenheit rauben soll? Er wäre ein Esel in der siebenundzwanzigsten Potenz, wenn er auch nur ein Feigenblatt dranklebte, da solche Werke ebenso wie dieses Buch ja nicht für Nonnenklöster bestimmt sind. Immerhin habe ich aus meinen Manuskripten zu meinem großen Ärger und Leidwesen manche kräftigen alten Wörter ausgestrichen, weil ich wohl weiß, daß an so vielen Leuten nichts keusch ist als die Ohren. Mit Recht können solche Ohren verlangen, daß man Rücksicht auf sie nehme. Wir wünschen nicht, daß eine jener tugendhaften Damen mit drei Liebhabern im Zorn über uns die schmalen Lippen kräusle. Und kein kleines Verbrechen wäre es, gewissen Jungfrauen ohne Jungfernschaft die Schamröte ins Gesicht zu treiben. Man muß den speziellen Lastern unserer Zeit Rechnung tragen. Auch ist ja die Umschreibung kitzliger als das nackte Wort.
Wir sind aber mit der Zeit alt geworden. Lang gesponnene Albernheiten sind uns lieber als die kurzen Frechheiten unsrer Jugend, man kann länger dran saugen und suckeln. Seid also nicht gar zu aufgebracht gegen mich, lest auch mein Buch lieber bei Nacht als bei Tag, und vor allem gebt es keiner Jungfrau, wenn sie es noch ist, in die Hand, das arme Buch könnte Feuer fangen.
Mich selber mögt ihr in Grund und Boden verfluchen. Um das Buch ist mir aber nicht angst, es hat denselben Quell und Ursprung wie so viele Dinge, die sich die Welt erobert haben, als zum Beispiel die königlichen Orden vom Goldenen Vlies, vom Heiligen Geist, der großbritannische Badeorden, der Orden vom Hosenband (Honni soit qui mal y pense) und andre hohe und weltberühmte Institutionen, unter deren Schutz und Schirm ich mich stelle.
›Also seid mir lustig und aufgeräumt, meine Lieben, und lest dies mit fröhlichem Sinn, daß sich eure Lenden und Eingeweide dabei wohl fühlen; wenn ihr mich aber verleugnet, nachdem ihr mich gelesen, so mög euch der Beelzebub reiten.‹
Diese Worte sind von Meister Rabelais, vor dem wir alle ehrfurchtsvoll den Hut abziehen als vor dem König der Wissenschaft und aller göttlichen und menschlichen Komödie.

Inhalt des ersten Bandes
ERSTES ZEHENT
Prolog ..... 7
Die schöne Imperia ..... 13
Die läßliche Sünde ..... 37
Das Königsliebchen ..... 98
Der Erbe des Teufels ..... 120
Die Belustigungen König Ludwigs des Elften ..... 149
Die Frau Konnetable ..... 173
Die Jungfrau von Thilhouze ..... 201
Der Waffenbruder ..... 212
Der lustige Pfarrer von Azay-le-Rideau ..... 232
Die schöne Wäscherin von Portillon ..... 245
Epilog ..... 258
ZWEITES ZEHENT
Prolog ..... 261
Die drei Scholaren von Saint-Nicolas ..... 269
Die Fasten König Franz' des Ersten ..... 287
Seltsame Reden der Nonnen von Poissy ..... 296
Wie das Schloß von Azay erbaut wurde 314
Wie eine schöne und tugendsame Frau zur Hure gemacht werden sollte ..... 340

Inhalt des zweiten Bandes
ZWEITES ZEHENT
Die Hochzeitsnacht des Mönchs ..... 5
Eine teure Liebesnacht ..... 18
Die Predigt des lustigen Pfarrers von Meudon ..... 33
Prolog zum Sukkubus ..... 59
Der Sukkubus ..... 63
Die abgeschnittene Wange ..... 144
Epilog ..... 155
DRITTES ZEHENT
Prolog ..... 159
Ausdauernde Liebe ..... 166
Von einem Justizerich, der kein Gedächtnis hatte für das ›Ding an sich‹ ..... 191
Von dem Mönch Amador, der nachher glorreicher Abt von Turpenay wurde ..... 206
Die reuige Berthe ..... 233
Wie das schöne Mädchen von Portillon seinen Richter überführte ..... 279
Eine Historie, durch die bewiesen wird, daß das Glück immer ein Weibsen ist ..... 290
Der Vagabund von Rouen ..... 313
Mißliche Unterhaltungen dreier Pilger ..... 327
Kindermund ..... 334
Die Heirat der schönen Imperia ..... 337
Epilog ..... 369
AUSKÜNFTE
Biographische Übersicht ..... 375
Stefan Zweig, Aus ›Balzac‹ ..... 378
Stimmen zu Balzac ..... 379
Aus Briefen Balzacs ..... 379
Konrad Farner, Gustave Doré ..... 381


Originaltitel: Contes drolatiques
Mit 400 Illustrationen von Gustave Doré
Aus dem Französischen übertragen von Benno Rüttenauer
Einbandgestaltung: Angelika Kuhrt

Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig und Weimar

1. Auflage 1981

im selben Verlag erschienene leinengebundene Ausgabe mit Schutzumschlag
1. Auflage 1986
und in der Reihe Die Bücherkiepe
1. Auflage 1981 

Auch erschienen bei:
• Insel-Verlag, Leipzig - 1977
• Greifenverlag zu Rudolstadt - 1954 u. 1964

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